Minarettverbot in der Schweiz:Europarat wird Minarettverbot nicht akzeptieren

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Nun verfügt auch die Schweiz - in deren Verfassung die unverhandelbaren Grundrechte anders als im deutschen Grundgesetz nicht eigens aufgeführt werden und die auch kein Verfassungsgericht kennt - über einen Sicherungsmechanismus, mit dem sich alle Demokratien vor undemokratischen Entscheidungen schützen, und zwar in Gestalt des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Dessen Gerichtsbarkeit hat sich das Land freiwillig unterworfen, in dem es die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieb.

Minarett, Istanbul, dpa

In Istanbul gehören Minarette zum Stadtbild. In der Schweiz stören sie offenbar viele, zu viele.

(Foto: Foto:dpa)

Nach allem, was Juristen in diesen Tagen sagen oder schreiben, werden die Deutungen des Minaretts als entweder rein politischem oder gar nicht originär islamischem Symbol, welche die Verbotsbefürworter anführen, um die Verletzung des Rechts auf freie Religionsausübung zu kaschieren, in Straßburg keinen Bestand haben.

Staatsrechtlich am Scheideweg

Nach dem absehbaren Urteil des Menschengerichtshofs stünde die Schweiz dann auch staatsrechtlich an dem Scheideweg, an dem sie gesellschaftlich jetzt schon angelangt ist: Akzeptiert sie es oder tritt sie aus dem Europarat aus, und damit aus der Gemeinschaft, die ideengeschichtlich das Erbe der Aufklärung vertritt.

Gleichwohl wäre es abwegig, sich mit der Aussicht auf Straßburg zu beruhigen. Wird der Konflikt, der zwischen der Manifestation eines Mehrheitswillen und den Grundrechten einer Minderheit entstanden ist, rein juristisch gelöst, kehrt er politisch umso schärfer wieder - dann in Gestalt von rechtspopulistischen Parteien, die bei Wahlen nicht mehr nur ein Drittel der Stimmen, sondern sogar Mehrheiten gewinnen.

Anders gesagt: Wer darauf beharrt, dass Grundrechte im demokratischen Prozess nicht zur Disposition gestellt werden dürfen, sollte dennoch alles dafür tun, damit sie jederzeit eine Mehrheit fänden. Löst sich der gesellschaftliche Grundkonsens dauerhaft auf, werden ihn Gerichte nicht mehr kitten können.

Viel ist in diesen Tagen davon die Rede, dass man die Ängste der Bevölkerung vor dem Islam ernst nehmen sollte. Das ist einerseits immer richtig, vernebelt aber im speziellen Fall des Minarettvotums, dass diese Ängste in einer aufwendigen Kampagne gezielt geschürt worden sind. Nur so wird erklärlich, warum sie gerade dort besonders ausgeprägt sind, wo am wenigsten Muslime leben, also in den ländlichen, aber auch in manchen wohlhabenden großbürgerlichen Gegenden.

Und wenn wir schon bei Ängsten sind: Es ist bezeichnend, dass kaum ein europäischer Staatsführer auch nur mit einem Wort die Ängste jener thematisiert hat, die in einem europäischen Land soeben zu Bürgern zweiter Klasse gestempelt worden sind. Mit welchen Werbebroschüren und auf welchen Integrationsgipfeln möchte man sie künftig davon überzeugen, sich als Teil der europäischen Gesellschaften zu begreifen?

Bildersprache des Stürmers

Wenn die größte und dank ihres Vormanns auch finanzstärkste Partei der Schweiz mit Plakaten wirbt, die die Bildersprache des Stürmers explizit aufgreifen, wenn sie auf ihre offizielle Internetseite ein Online-Spiel stellt, bei dem man Imame abschießen kann, wenn ehemals liberale Blätter die Argumentationsstruktur und manche Stereotypen der nationalsozialistischen Propaganda auf Muslime anwenden, wird klar, dass nicht nur der Islam ein Problem mit Hasspredigern hat.

Die westliche Spielart des Fundamentalismus als einer kulturellen statt religiösen oder ethnischen Ideologisierung ist zu einer innereuropäischen Herausforderung geworden, wie das Erstarken rechtspopulistischer Parteien auch in Ländern wie Österreich, Italien, Dänemark oder den Niederlanden zeigt.

In all den Ländern wird die Auseinandersetzung mit diesen Parteien und den Publizisten, die ihnen medial den Weg bereiten, defensiv geführt. Die traditionellen und speziell die konservativen Parteien spielen die Gefahren, die von dieser Strömung für das europäische Projekt ausgehen, herunter, übernehmen nach und nach deren Rhetorik und binden sie in vielen Fällen sogar in die Regierung ein. In keinem einzigen Fall ist die Rechnung aufgegangen, dass sich die Rechtspopulisten dadurch mäßigen oder sich ihre Wählerschaft dadurch verringert.

Hingegen blieb der Vormarsch der Rechtspopulisten genau in jenen Ländern bislang aus, die sich seit einigen Jahren bemühen, die Integration endlich politisch zu gestalten, statt deren Verwerfungen populistisch auszuschlachten. In Schweden, Spanien oder Deutschland herrscht bei allem notwendigen Streit über die konkrete Ausgestaltung ein grundsätzlicher Konsens zwischen den etablierten Parteien, Migranten in das Gemeinwesen einzubeziehen, statt sie mit Blick auf vermeintliche Abstimmungsergebnisse auszugrenzen.

Es ist offensichtlich und durchaus an Wahlurnen vermittelbar, dass soziale und kulturelle Konflikte nicht durch Verbote und Diskriminierungen gelöst werden können, die eben jene Parallelgesellschaften schaffen, an denen Anstoß genommen wird.

Probleme im Konkreten bewältigen

Die Sorgen vor Überfremdung ernst zu nehmen, kann deshalb nicht bedeuten, den Rechtspopulisten in vorauseilendem Gehorsam Genüge zu tun und das Fremde per Gesetz unsichtbar zu machen. Vielmehr gilt es, die Ängste abzubauen, indem man realistischere Perspektiven aufzeigt und die Probleme im Konkreten bewältigt, mit Sprachförderung schon in den Kindergärten, Frauenhäusern, massiven Investitionen in die Bildung, Maßnahmen gegen Ghettoisierungstendenzen in den Städten oder der Ausbildung von Imamen vor Ort, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Auch die Instrumentarien des Baurechts spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie können für die Einbettung bislang ungewohnter Sakralbauten in ihre Umgebung sorgen, die nicht nur durch möglichst unscheinbare Gebäude, sondern überzeugender mit einer ästhetisch besonders ansprechenden, zeitgenössisch-islamischen Architektur gelingen kann, die die europäische Formensprache aufgreift und erweitert.

Vor allem aber wird man, um den europäischen Gesellschaftsvertrag eine Generation nach der historischen Einwanderungswelle der fünfziger und sechziger Jahre zu erneuern, Überzeugungsarbeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen leisten müssen, in den Schulen, Medien, Parteien, Behörden, Fabriken, Kirchen, Moscheen, Vereinen und Familien. Früher hätte man es auch Aufklärung genannt.

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