Migration:Merkel will mehr Unterstützung für Tunesien-Rückkehrer

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Nicht in allen Punkten einig: Bundeskanzlerin Merkel beriet mit dem tunesischen Ministerpräsidenten Youssef Chahed über eine bessere Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik. (Foto: Ralf Hirschberger)

Berlin (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Verhandlungen über eine stärkere deutsche Unterstützung der freiwilligen Rückkehr von Flüchtlingen nach Tunesien angekündigt. Denkbar seien etwa Bildungsangebote und eine finanzielle Unterstützung von Unternehmensgründungen von Tunesien-Rückkehrern.

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Berlin (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Verhandlungen über eine stärkere deutsche Unterstützung der freiwilligen Rückkehr von Flüchtlingen nach Tunesien angekündigt. Denkbar seien etwa Bildungsangebote und eine finanzielle Unterstützung von Unternehmensgründungen von Tunesien-Rückkehrern.

Das sagte Merkel nach einem Treffen mit Regierungschef Youssef Chahed im Kanzleramt in Berlin. Über entsprechende Details werde nun auf Fachministerebene beraten. Merkel kündigte einen Tunesien-Besuch noch in diesem Frühjahr an.

Merkel betonte, aus Tunesien komme nur rund ein Prozent der derzeit in Italien anlandenden Flüchtlinge. Hauptherkunftsland sei nach wie vor mit weitem Abstand Libyen. In Deutschland gebe es etwa 1500 ausreisepflichtige tunesische Flüchtlinge.

Im Anschluss an das Treffen besuchte Merkel gemeinsam mit Chahed den Ort des islamistischen Terroranschlags vom 19. Dezember auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin. Der aus Tunesien stammende Attentäter Anis Amri hatte insgesamt 12 Menschen getötet und etwa 50 zum Teil schwer verletzt. Amri war ausreisepflichtig, konnte aber wegen fehlender Papiere nicht nach Tunesien abgeschoben werden.

Vor dem Treffen mit Merkel hatte der tunesische Regierungschef deutsche Überlegungen zurückgewiesen, in seinem Land Flüchtlings-Auffanglager einzurichten. Tunesien sei eine sehr junge Demokratie, sagte Chahed der „Bild“-Zeitung. Er denke nicht, dass es im Land für Flüchtlingslager Kapazitäten gebe. „Es muss eine Lösung zusammen mit Libyen gefunden werden. Das ist der einzige Weg“, sagte er. Fehler seiner Behörden im Fall Amri bestritt der Regierungschef kategorisch.

Grüne und Linke warnten vor der Einrichtung von Auffanglagern in Nordafrika. „Angela Merkel darf mit Tunesien nicht den Fehler wiederholen, den sie im Umgang mit Erdogan gemacht hat, und durch einen schmutzigen Flüchtlingsdeal das Land von westlicher Kritik abschirmen“, sagte die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Linkspartei-Chefin Katja Kipping mahnte: „Kanzlerin Merkel muss von jeglichen Plänen Abstand nehmen, in Tunesien Flüchtlingslager einzurichten, und gegenüber dem tunesischen Premier auf die Einhaltung der Menschenrechte statt auf eine verschärfte Flüchtlingsabwehr drängen.“

Auch Pro Asyl mahnte: „Das Schutzbedürfnis der Betroffenen würde kaum eine Rolle spielen.“ Die Flüchtlingshilfsorganisation befürchtet, dass die Einrichtung derartiger Lager das individuelle Recht auf Asyl in der EU untergraben würde. Zudem lasse die geringe Bereitschaft vieler EU-Mitgliedstaaten zur Flüchtlingsaufnahme daran zweifeln, dass eine Umverteilung der Menschen aus den Lagern funktioniere.

Die Union hingegen sieht Tunesien in der Pflicht. „Natürlich muss sich Premierminister Chahed fragen lassen, was seine Regierung tut, damit nicht mehr so viele Tunesier ihr Land verlassen oder sich extrem radikalisieren“, sagte Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher von CDU und CSU im Bundestag, dem RND. Der CSU-Politiker fordert von Tunesien mehr Kooperationsbereitschaft bei der Rücknahme ausreisepflichtiger Tunesier aus Deutschland. Allerdings steht Chaheds Regierung bei diesem Thema auch unter dem Druck der eigenen Bevölkerung, die aus Angst vor Terror keine islamistischen Landsleute aus Europa zurücknehmen will.

Chahed warb auch um Anerkennung der Leistungen seines Landes, das nach den Unruhen des sogenannten Arabischen Frühlings das einzige mit demokratischen Strukturen ist. „Wir sind gerade dabei, einen Krieg gegen Terror zu führen. Wir schützen die Südflanke Europas. Wir sind in einer sehr heiklen Lage“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“.

Mit Blick auf die soziale Lage in seinem Land fügte er hinzu: „Es ist nicht nur eine Frage der Sicherheits-Architektur. Es geht um Bildung, es geht um Jugend, die jungen Menschen, die eine ganz geringe Beschäftigungschance haben.“ Und: „Da ist noch sehr viel Arbeit zu leisten, und da wollen wir mit ihrem Land zusammenarbeiten.“

Zum Terrorfall Anis Amri sagte Chahed der „Bild“-Zeitung: „Die tunesischen Behörden haben keine Fehler gemacht.“ Amri konnte aus Deutschland nicht abgeschoben werden, weil Tunesien zunächst keine Ersatzpapiere für ihn ausgestellt hatte. „Als Amri 2011 Tunesien verlassen hat, war er kein Terrorist, es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass er sich radikalisieren würde“, sagte Chahed. Tatsächlich weisen bisherige Erkenntnisse darauf hin, dass er sich erst später, möglicherweise im Gefängnis in Italien, radikalisiert hat.

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