Mexikos Staatschef Felipe Calderón kämpft um seinen Ruf - und um den der Nation. Zweimal binnen 24 Stunden wandte sich der Präsident in seinem Amtssitz Los Pinos von Mexiko-Stadt mit dramatischen Reden an das Volk. "Heute wurde uns bewiesen, dass das organisierte Verbrechen eine permanente Bedrohung ist und versucht, seine Regeln durchzusetzen", warnte er und bat um Einheit: "Ich rufe alle politischen Kräfte dazu auf, sich in diesen delikaten Momenten zur Verteidigung der Institutionen zu vereinen."
Doch die Oppositionspartei PRI, die von Calderóns Unternehmerpartei PAN 2000 nach 71 Jahren an der Macht verdrängt worden war, versagt ihm die Gefolgschaft. Sie will bald wieder die Kontrolle übernehmen. "Demokratie, Rechtsstaat und Frieden sind in Gefahr", sagt die PRI-Parlamentsführerin Josefina Vázquez. Ihre Partei macht die Strategie des Präsidenten für die Gewalt verantwortlich; die PRI hatte die Kokainkartelle zuvor gewähren lassen. Der Konservative Calderón schickte nach seinem umstrittenen Wahlsieg 2006 etwa 60.000 Soldaten und Polizisten gegen die Drogengangs auf die Straßen, Tausende Verdächtige wurden festgenommen. Außerdem sicherten die USA Militärhilfe zu. Der Terror aber wird immer schlimmer. Es wird gemordet, gedroht, entführt, bestochen. Und 95 Prozent der Taten bleiben ungesühnt.
"Komplizenschaft zwischen Politik und Kartellen"
Die Kritik an Calderóns Taktik nimmt zu. Viele Kommentatoren bezweifeln nach dem Attentat auf Torre Cantú, dass unter solchen Umständen gewählt werden kann. "Die Wahlen verlieren ihren Sinn mit dem schmutzigen Geld, das sie finanziert", findet die Zeitung Reforma. Es gebe "offensichtlich eine klare Komplizenschaft zwischen Politikern und Kartellen", über Tamaulipas gehe das weit hinaus. "Die Stimme des Narco", steht über dem Leitartikel; die Narcos, das sind die Drogendealer. "Staatskrise", klagt das Blatt El Universal und schreibt von "Wahlen der Angst". Auch Präsident Calderón gab kürzlich zu, dass "Plata y Plomo" entscheidend seien, Silber und Blei, also Geld und Kugeln.
Viele Städte in Krisenprovinzen wie Chihuahua mit der Mord-Hochburg Ciudad Juárez, Durango und Sinaloa finden kaum mehr Bürgermeister. Wahlkontrolleure geben zu Tausenden auf. Polizisten laufen zu den Kriminellen über. In Tamaulipas herrscht in Städten wie Tampico und Reynosa Panik. Die PRI allerdings will an die Macht. Sie will trotz allem mit einem Torre Cantú den Posten des Gouverneurs erobern: Der Ersatzmann heißt Egídio Torre Cantú und ist der Bruder von Rodolfo Torre Cantú, der gerade erschossen wurde.