Merkels Besuch in der Türkei:Ohne große Herzlichkeit

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Kultur, wirtschaftliche Entwicklung und Nato-Bündnistreue: Angela Merkel schätzt vieles an der Türkei. Das macht sie bei ihrem Besuch auch gerne deutlich. Dass Ankara eines Tages der EU beitreten wird, das glaubt sie jedoch offenkundig nicht.

Von Nico Fried, Ankara

Es gibt nach vertraulichen Gesprächen von Regierungschefs einige wenige Indizien, anhand derer sich über die Atmosphäre der Unterredung auf halbwegs vertrauenswürdigem Niveau mutmaßen lässt. Dazu gehört zum Beispiel der Gesichtsausdruck. Recep Tayyip Erdogan guckt eher missmutig, als er gemeinsam mit Angela Merkel zur Pressekonferenz erscheint. Im Laufe der nächsten Minuten wird seine Mimik sich allenfalls noch zu gelangweilt ändern. Merkel guckt wie immer. Ein enthusiastisches Gespräch scheint es nicht gewesen zu sein, das die beiden geführt haben.

Mit Erdogan hat Merkel freilich auch die Erfahrung gemacht, dass er umso länger redet, je mehr er sich provoziert fühlt. Auf der Pressekonferenz aber hält Erdogan seine Einlassungen allesamt auffallend kurz. Das wiederum spräche dafür, dass es zumindest keinen Ärger gegeben hat, der den Ministerpräsidenten nun dauerhaft aus der Ruhe gebracht hätte. Es war offenbar ein Gespräch wie immer zwischen Merkel und Erdogan: ohne große Herzlichkeit, aber in verträglichem Grundton. Ein Hizir musste jedenfalls nicht angerufen werden. Ein was? Dazu später mehr.

Merkel zu wenig Harmonie aufgelegt

Erdogan, dessen gelegentliche Ruppigkeit auch Merkel schon erleben konnte, ist heute nicht auf Konflikt aus. Der Premier spricht von großer Sensibilität der Deutschen, was die Bedrohung der Türkei durch den Konflikt in Syrien angeht, und dankt für die Unterstützung mit Patriot-Raketen. Und er freut sich an vielen positiven Handelsdaten.

Diesmal ist es eher Merkel, die ein wenig gegen zu viel Harmonie anredet. Auch die Kanzlerin nennt die Wirtschaftsbeziehungen "sehr, sehr gut", man könne aber "noch besser werden". Dann äußert sie den Wunsch, dass Journalisten in der Türkei frei arbeiten können, und betont den Wert der Religionsfreiheit.

Was die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei angeht, spielt Merkel den Ball zu Erdogan. Vor allem die Probleme Ankaras mit dem EU-Mitglied Zypern behindern ja immer wieder die Verhandlungen.

Erdogan aber lässt sich heute nicht aus der Ruhe bringen. Die Journalisten seien nicht inhaftiert, weil sie etwas Falsches geschrieben hätten, sondern weil sie Kontakte zu Terrorgruppen gehabt hätten, behauptet er. Und was den EU-Beitritt betrifft, sagt er: Schon jetzt lebten mehr als fünf Millionen Türken in EU-Mitgliedstaaten. Und fügt dann lässig eine bemerkenswerte Schlussfolgerung an: "Die Türkei ist schon in der Europäischen Union."

Jetzt aber zu Hizir. Der ist Merkel am Morgen zum ersten Mal in Kappadokien begegnet. Über Jahrtausende hat die Natur hier in Zentralanatolien durch Vulkanausbrüche und Überschwemmungen eine bizarre Felslandschaft herausgeformt. Schon im dritten Jahrhundert siedelten sich hier Christen an, die vor den Römern flohen, und sich in den weichen Tuffstein ihre Behausungen und Kapellen bauten. Merkel ist hierher gekommen, weil Erdogan sie immer wieder gebeten hatte, auch mal nach Anatolien zu reisen.

Merkels Sicht auf die Türkei ist vielschichtig

Nachdem sie in Istanbul mit der blauen Moschee schon einmal ein islamisches Heiligtum besichtigt hatte, wollte sie nun mit dem Besuch christlicher Stätten einen Kontrapunkt setzen, zumal in einer Region, in der Christen viele Jahrhunderte relativ problemfrei unter islamischen Herrschern lebten. In der Johanneskirche, einer zweistöckigen Höhle mit Fresken aus dem frühen Mittelalter hat ihr Führer Attila Nilgün auf ein Bild gezeigt, wo der heilige Georg einen Drachen tötet.

Wenn man den Führer richtig verstanden hat, gibt es eine ähnliche Figur auch im Islam, den Propheten Hizir. "Wenn Sie in Schwierigkeiten stecken", sagt Nilgün, "dann rufen sie nach Hizir."

Merkels Sicht auf die Türkei ist vielschichtig. Sie zeigt Interesse an Geschichte und Kultur und ist voller Anerkennung für die rasante wirtschaftliche Entwicklung. Sie findet, dass der Einsatz deutscher Patriots schon deshalb angemessen ist, weil sich die Türkei über Jahrzehnte als verlässlicher Nato-Partner erwiesen habe. Dass die Türkei eines Tages doch der EU beitreten wird, glaubt Merkel offenkundig nicht.

Ihre persönliche Skepsis, die sie auch in der Pressekonferenz mit Erdogan wiederholt erwähnt, hat dabei weniger damit zu tun, dass es sich um ein muslimisches Land handelt. Die Zweifel der Kanzlerin setzen sich zusammen aus der Größe des Landes und der Verschiebung der Gewichte, die ein Beitritt in der EU zur Folge hätte.

Vor allem aber wachsen in Berlin die Zweifel, ob die Regierung in Ankara überhaupt bereit sein wird, sich in dem Maße aus Brüssel hineinreden zu lassen, wie das in der Europäischen Union üblich ist. So hat die Blockade mancher Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen nach deutscher Darstellung ihren Grund auch darin, dass die Türkei nicht zu viele Details ihrer wirtschaftlichen Strukturen offenlegen will.

Keine Einigung um des Friedens Willen

Die Kanzlerin aber, und das ist der andere Teil ihrer Sicht auf die Türkei, hat eine hartnäckige Abneigung dagegen, manchen Forderungen nur um des lieben Friedens Willen entgegenzukommen. Wäre die EU eine reine Wirtschaftsgemeinschaft, könnte die Türkei wohl alsbald beitreten. Doch Merkel beharrt darauf, dass in der EU nicht nur das ökonomische Potenzial zählt. Deshalb haben sie auch die Worte von EU-Energiekommissar Günther Oettinger kalt gelassen, wonach manche Europäer noch auf Knien in die Türkei rutschen würden.

Im Moment könnte es eher umgekehrt sein. In der türkischen Nachbarschaft nämlich steht es aus Erdogans Sicht nicht zum Besten. Seinen früheren Freund Assad in Syrien beschimpft der Premier mittlerweile öffentlich. Die traditionell guten Beziehungen zu Israel sind seit Monaten wegen des Angriffes auf ein türkisches Hilfsschiff belastet. Und ob aus der neuen ägyptischen Regierung ein Partner für Ankara erwächst, ist offen.

Wenn Merkel sich überhaupt noch an die Episode in der Höhlenkirche erinnert, dann könnte sie auf den Gedanken kommen, dass Erdogan zur Zeit einen Hisir nötiger hat als sie.

© SZ vom 26.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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