Merkel gegen Westerwelle:So wie einst Herr Möllemann

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Westerwelle bläst sich auf - Merkel lässt die Luft raus: Eine Rüge der Kanzlerin an die Adresse des Möchtegern-Tabubrechers dürfte beim FDP-Chef unschöne Erinnerungen wecken.

Nico Fried, Berlin

Die Sätze der Kanzlerin kommen so harmlos daher. Aber sie sind wie ein Sprengsatz für das Verhältnis Angela Merkels zu Guido Westerwelle. Der Vizekanzler hatte in der Hartz-IV-Diskussion für sich in Anspruch genommen, Anwalt einer "schweigenden Mehrheit" zu sein und eine Debatte zu führen, die bisher gemieden worden sei.

Merkel antwortete nun in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sie wolle nicht, "dass durch bestimmte Formulierungen wie etwa 'Man muss noch sagen dürfen' der Eindruck entstehen kann, es werde etwas ausgesprochen, was nicht selbstverständlich ist, als gebe es also ein Tabu." Der FDP-Chef bläst sich auf - und die Kanzlerin lässt die Luft raus. Allein das reicht für eine mittlere Zerrüttung.

Merkel hatte sich schon zuvor wiederholt vom "Duktus" Westerwelles distanziert. Daraufhin war ihr vorgeworfen worden, sie kritisiere lediglich die Form, nicht aber den Inhalt der Aussagen des FDP-Chefs.

In diesem Fall allerdings trifft die Stilkritik den Adressaten womöglich viel härter: Indem sie gezielt Westerwelles Attitüde eines Tabubrechers thematisiert, nimmt Merkel die Reminiszenz an schwierige Monate der Liberalen vor acht Jahren mindestens in Kauf.

Es ist die Erinnerung an eine Debatte, die fast das politische Ende des FDP-Chefs Westerwelle bedeutet hätte.

Die Ähnlichkeiten in der Form sind frappierend: "Es ist eigentlich ein merkwürdiger Zustand, dass die Politiker sich nicht trauen, das zu sagen, was die Mehrheit der Bevölkerung denkt."

So ließ sich am 9. Mai 2002 der damalige stellvertretende FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann im Rheinischen Merkur zitieren. Möllemann verteidigte damit seine Kritik an der israelischen Regierung wegen ihres Umgangs mit den Palästinensern. "Ich spreche nur aus, was in Wahrheit alle Politiker wissen, aber sie trauen es sich nicht auszusprechen." So formulierte es Guido Westerwelle am 17. Februar 2010 in seiner Aschermittwochs-Rede, als er in Straubing die von ihm losgetretene Sozialstaatsdebatte verteidigte.

Mehrere Wochen tobte 2002 die Debatte um antisemitische Tendenzen in der FDP. Möllemann verwies am 22. Mai 2002 in einer Erklärung auf "mittlerweile über 11000" Zuschriften, im Spiegel vom 4. November 2002 wurde er aus einer internen Besprechung mit dem Satz zitiert, er habe sogar "Zehntausende begeisterte E-Mails" erhalten.

Auch in der aktuellen Hartz-Debatte freut sich die FDP-Spitze nun über das angebliche Echo der Bevölkerung: "Ich habe dazu in den vergangenen Tagen Zigtausende Zuschriften von Bürgern erhalten - die weitaus größte Zahl zustimmend", sagte Westerwelle am 21. Februar in der Bild am Sonntag. Und auch die Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger prahlte am Donnerstag im ZDF: "Sie glauben nicht, wie viele Zuschriften wir erhalten haben."

Zur Dynamik des behaupteten Tabubruchs gehört auch die Distanz zu medialer Kritik: "Zwischen der veröffentlichten Meinung und dem, was die Menschen wollen, gibt es eine erschreckende Kluft", glaubte Möllemann 2002 zu wissen.

"Schön, dass Sie so zahlreich gekommen sind - das zeigt, dass Politik eben nicht in den Kommentarspalten gemacht wird", begrüßte Westerwelle am Aschermittwoch sein Publikum.

"Man muss noch sagen dürfen..."

Zufall oder nicht - auch dass Merkel sich gegen die Aussage des Satzes "Man muss noch sagen dürfen" verwahrt, ist in der Rückschau auf 2002 für Westerwelle eine eher unangenehme Warnung.

Er selbst verwendete damals dieses Trotz-Motiv schon in der Antisemitismus-Debatte. Am 22. Mai 2002 sagte er auf einer Pressekonferenz in Berlin: "Es muss in Deutschland möglich sein, die Politik der israelischen Regierung zu kritisieren, ohne in eine rechtsradikale oder antisemitische Ecke gestellt zu werden."

So vergleichbar die Dynamiken der Debatten von 2002 und 2010 sind, so wenig ist es ihr Inhalt. Gleichwohl könnte man in der aktuellen Diskussion auf die Idee kommen, Westerwelle habe mit der Parallele zu 2002 kalkuliert. Damals wurde gegen ihn der Vorwurf des Rechtspopulismus erhoben.

Heute kommt ihm diese Kritik insofern gelegen, als er sie mit einer pointierten Replik abschmettern kann, die es am Aschermittwoch in die meisten Nachrichtensendungen schaffte: "Man muss schon sehr linksradikal in der Birne sein, wenn einem Leistungsgerechtigkeit als rechtsradikal gilt."

Egal, mit welcher Intention Merkel den behaupteten Tabubruch thematisierte, durchzieht ihr jüngstes Interview auf jeden Fall eine bemerkenswerte Ambivalenz. Sie preist die schwarz-gelbe Koalition: "Beide Parteien haben mit Abstand die größten inhaltlichen Schnittmengen."

Sie spricht von "wir", von "uns", von "Union und FDP", von der "christlich-liberalen Koalition". Sie erwähnt die Minister Norbert Röttgen und Wolfgang Schäuble.

Nur einen Namen nimmt sie nicht ein einziges Mal in den Mund. Es ist der Name ihres wichtigsten politischen Partners: Guido Westerwelle.

© SZ vom 26.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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