Frankreich:Endlich wirbt Macron um die Gunst des Volkes

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Macrons Rede läuft auf dem Fernseher einer Familie in der Nähe von Paris. (Foto: AP)

Der französische Präsident schlägt in der Corona-Krise ganz neue Töne an, wirkt bescheiden und räumt sogar Fehler ein. Mit Blick auf die nächsten Wahlen wurde es dafür höchste Zeit.

Kommentar von Stefan Ulrich

Er kann also auch anders. Bisher haben die Franzosen ihren Präsidenten meist in der Rolle eines forschen, kühlen und strengen Landesvaters erlebt, der sich selbst und den anderen viel abverlangt. Ein schneidiger Macher, ein Überflieger gar, der schon in jungen Jahren sehr viel erreicht hat und wenig Verständnis für Schwächere und nicht so Begabte zeigte. Seine leistungselitäre Attitüde und sein bisweilen arroganter Tonfall wurden zu Emmanuel Macrons großem Handicap in einem Land, das Brüderlichkeit und Solidarität betont und sich gern als Gegenmodell zu einem angelsächsisch geprägten Neoliberalismus sieht. Offenbar hat der Präsident dies nun endlich erkannt. Die Franzosen erlebten jedenfalls am Montagabend einen ganz anderen Macron.

Anstatt, wie bei früherer Gelegenheit, zum "Krieg" gegen das Virus zu blasen und dem Volk Blut, Schweiß und Tränen abzufordern, erschien ihnen ihr Präsident auf einmal als mitfühlender Seelentröster. Er verneigte sich rhetorisch vor den stillen Heldinnen und Helden der Krise, vor Krankenschwestern und Pflegern etwa. Er versprach mehr Hilfe für die Ärmsten. Er machte Hoffnung auf eine Lockerung der strengen Beschränkungen, die er den Franzosen wegen Corona auferlegt hat. Und er gestand - quelle surprise! - eigene Schwächen und Fehler bei der Bewältigung der Epidemie ein.

Kurzum, Macron menschelte. Es war höchste Zeit. Wenn er die Franzosen bis zur Wahl in zwei Jahren noch davon überzeugen will, ihn wiederzuwählen, dann reicht es für ihn nicht, recht zu haben. Um zu gewinnen, muss er gewinnend werden, Sympathien erzeugen, Mitgefühl zeigen, aus den Höhen des Élysée herabsteigen und als erster Bürger unter Bürgern agieren. Hoffentlich gelingt es ihm.

Denn recht hat Macron in vielen seiner grundsätzlichen Analysen: Ja, das längst müde, pessimistische Frankreich braucht eine lange Phase - nicht nur, aber auch wirtschaftsliberaler - Reformen. Ja, die europäischen Staaten werden nicht durch weniger, sondern nur durch viel mehr Europa die Zukunft meistern. Und ja, es liegt im eigenen Interesse der Europäer, Afrika energisch zu helfen.

Doch Macron gelang es häufig nicht, andere von seinen richtigen politischen Plänen zu überzeugen. In seiner Heimat marschierten die Gelben Westen gegen ihn auf. Und sein europapolitischer Schwung wurde bereits in der Nachbarschaft, nämlich vom engen Partner Deutschland, gebrochen. Seine bislang fragwürdige Bilanz im Kampf gegen Corona könnte ihn nun weiter bremsen.

Das ist schade, das ist fatal. Denn wer, wenn nicht der junge, tatkräftige, hochintelligente französische Präsident soll die Europäische Union inspirieren, wenn die Corona-Krise vorbei ist? Wer, wenn nicht er, kann die politische, wirtschaftliche und soziale Sanierung Europas einleiten und vorantreiben in einer Zeit, da Deutschland mit dem langwierigen Machtwechsel im Kanzleramt beschäftigt ist?

Frankreich, Deutschland und Europa können es sich nicht leisten, das große Talent Macrons zu vergeuden. Vor allem aber ist Macron selbst gefragt. Er scheint das zu wissen. In seiner Ostermontagsrede sagte er, alle müssten sich nun neu erfinden, zuallererst er selbst. Viele bezweifeln, dass ihm das gelingt. Doch in seinem Leben hat Emmanuel Macron schon öfter alle Skeptiker verblüfft.

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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