Warschauer Aufstand:Deutschlands doppelte Schuld gegenüber den Polen

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Bundesaußenminister Heiko Maas (links vorne) mit seinem polnischen Amtskollegen Jacek Czaputowicz beim Gedenken in Warschau. (Foto: dpa)

75 Jahre nach dem Massaker, das die deutschen Besatzer anrichteten, steht die Bundesregierung mehr denn je in der Pflicht, den Polen zur Seite zu stehen als Verbündete - wenn nötig auch mit Kritik.

Kommentar von Daniel Brössler

Wenn die Polen dieser Tage an den Beginn des Warschauer Aufstandes vor 75 Jahren erinnern, so gilt das Gedenken nicht nur dem Mut der Verzweifelten. Es gilt auch der Auferstehung aus der totalen Katastrophe. Nachdem sie den Widerstand mit erdrückender militärischer Übermacht gebrochen hatten, machten sich die Deutschen an die fast komplette Vernichtung der polnischen Hauptstadt.

Verschont blieb nur der Teil, der schon besetzt war von jenen sowjetischen Truppen, die das Massaker hatten geschehen lassen. Der Warschauer Aufstand steht für die Selbstbehauptung des polnischen Volkes, er steht aber auch für doppelte deutsche Schuld. Die Schuld der Täter, aber auch die Schuld der Vergessenden. Über Jahrzehnte spielte das Leid der Polen für viele Deutsche eine nachgeordnete Rolle. Diese doppelte Last trägt Außenminister Heiko Maas als Vertreter Deutschlands beim Gedenken in Warschau.

Maas selbst sollte das Gewicht des Gepäcks auf seinen Schultern am wenigsten überraschen. Der Sozialdemokrat hat seine ganze politische Laufbahn in den Kontext der historischen Verantwortung Deutschlands gestellt. Willy Brandt hatte diese Verantwortung einst zum Kniefall am Mahnmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto veranlasst, sie gab ihm den Impuls für seine Ostpolitik.

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Mit der Entspannungspolitik gegenüber den Staaten des Warschauer Paktes war er dieser Verantwortung gerecht geworden. Im Europa und in der Welt von 2019 besteht diese Verantwortung fort. Zu den schwierigsten Aufgaben deutscher Politik aber gehört es, ihr unter den ganz anderen Voraussetzungen beizukommen.

Im Verhältnis zum konservativ bis nationalistisch regierten Polen geht es darum, die historische Verantwortung für den östlichen Nachbarn in Einklang zu bringen mit der Verantwortung für das europäische Einigungsprojekt. Die in Polen Regierenden von der Partei Recht und Gerechtigkeit haben darauf eine einfache Antwort.

Sie erwarten von der Bundesregierung besondere Zurückhaltung, wenn es um Kritik am Abbau des Rechtsstaates in Polen geht. Sie verlangen von ihr ein gesteigertes Verständnis für das absolute Nein Polens zur Aufnahme aus dem Mittelmeer geretteter Flüchtlinge. Und sie fordern anhaltende Solidarität in Form von EU-Fonds beim Aufbau der Wirtschaft in Polen. Nicht zufällig beherzigt Ursula von der Leyen als künftige Präsidentin der Europäischen Union genau diese drei Anliegen bisher strikt.

Für die Bundesregierung kann dieses Verhalten keine Anleitung sein, denn es läuft der europäischen Einigung zuwider. Der EU fehlt der Kitt eines Nationalstaates. Überdauern kann sie nur als Gemeinschaft von Demokratien und Rechtsstaaten, die sich in ihren Grundwerten einig sind. Der Versuch, diese Prinzipien zu relativieren, bringt die EU in existenzielle Gefahr - umso mehr, als Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit unter Druck stehen. Die Bundesregierung wird Polen Kritik auch künftig nicht ersparen können - ebenso wenig wie das der künftigen Kommissionspräsidentin auf Dauer möglich sein wird.

Zur Verantwortung gegenüber Polen besteht hier ohnehin nur ein scheinbarer Widerspruch, denn diese Verantwortung gilt nicht gegenüber einer bestimmten Regierung. Die Rücksicht gegenüber der zurzeit den Ton angebenden PiS muss ihre Grenze dort finden, wo es der demokratischen, pro-europäischen Opposition schaden würde. In der EU wird erst dann wieder wirklich etwas voran gehen, wenn Polen als größtes Mitgliedsland im Osten mitmacht. Das Prinzip deutscher Polen-Politik kann daher zum einen nur Hoffnung lauten, zum anderen aber Respekt.

Das gilt etwa für den Umgang mit Reparationsforderungen. Sie mögen rechtlich nicht haltbar sein, historisch aber sind sie verständlich. Die Bundesregierung sollte nach Wegen suchen, mit der doppelten Schuld umzugehen - dem polnischen Gefühl also, dass Deutschland sich auch materiell der Verantwortung für die Verbrechen der Nazis bislang nicht in einer angemessenen Weise gestellt hat. Dies wird sich nicht in Reparationszahlungen niederschlagen, könnte aber durch symbolstarke Projekte wie den Wiederaufbau des Sächsischen Palais geschehen.

Nicht minder wichtig wird sein, ob Deutschland in Polen künftig als verlässlicher Partner und Verbündeter wahrgenommen wird. Die Forderung ostdeutscher Politiker nach bedingungsloser Aufhebung der Sanktionen gegenüber Russland, das Festhalten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und die Diskussionen über das Zwei-Prozent-Ziel der Nato wecken in Polen Zweifel.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Argument, eine deutsche Aufrüstung verschiebe die Balance in Europa und müsse die Nachbarn verschrecken. Das Gegenteil ist richtig. Polen erwartet, dass Deutschland die Zusagen in der Nato einhält. Wenn Polen ein Deutschland fürchtet, dann jenes, das seine Versprechen bricht.

© SZ vom 01.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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