Über den in der Nacht zum Sonntag festgenommenen 45 Jahre alten Verdächtigen im Fall Lübcke, Stephan E., liegen polizeiliche Erkenntnisse über Landfriedensbruch, Körperverletzung und Waffenbesitz vor. Es soll ein langes Vorstrafen- beziehungsweise Erkenntnisregister bei den Behörden zu dem Verdächtigen geben. Bei der Auswertung seines Handys haben die Ermittler nach Informationen von NDR, WDR und SZ inzwischen zahlreiche hetzerische Kommentare in sozialen Netzwerken entdeckt, vor allem bei Youtube. 2018 soll E. dort unter dem Alias "Game Over" unter anderem geschrieben haben: "Entweder diese Regierung dankt in kürze ab oder es wird Tote geben." Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden Waffen gefunden, aber nicht die Tatwaffe.
Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen im Fall des getöteten Regierungspräsidenten Walter Lübcke nun übernommen. Die Bundesanwaltschaft traf diese Entscheidung am Montagmorgen, weil sie den Verdacht eines rechtsextremistischen oder rechtsterroristischen Hintergrunds erhärtet sah.
Stephan E. soll in der Vergangenheit eindeutige Verbindungen in die rechtsextreme Szene gepflegt haben. Er soll im Umfeld der hessischen NPD und der Autonomen Nationalisten tätig gewesen sein. Die Autonomen Nationalisten wurden von Experten als potenzielle Rechtsterroristen von morgen eingestuft. 1995 wurde er wegen einer Attacke auf ein Flüchtlingsheim vom Landgericht Wiesbaden wegen versuchten Totschlags und versuchten Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt.
2009 soll der Beschuldigte zudem bei einem Überfall von Rechtsradikalen auf eine Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) beteiligt gewesen sein. Dem Verfassungsschutz sollen auch mehrere gegen Ausländer gerichtete Gewalttaten des Verdächtigen bekannt sein, sowie die Teilnahme an rechten Kundgebungen in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Er hatte sich aber in den vergangenen Jahren offenbar aus der organisierten Neonazi-Szene zurückgezogen. Er soll den Behörden zuletzt nicht mehr als gewaltbereiter Rechtsextremist bekannt gewesen sein.
Eine zunächst für Montag geplante Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Kassel zusammen mit dem Landeskriminalamt wurde abgesagt. Nun wird sich allein die Bundesanwaltschaft als zuständige Behörde zu dem Fall äußern. In internen Beratungen der hessischen Sicherheitsbehörden war eine Übernahme schon am Wochenende Thema gewesen. Da man nicht ausschließen könne, dass eine rechtsextreme Gruppierung am Werk sei, sei Karlsruhe der richtige Ort, hieß es in Kreisen der Fahnder. "Wir haben aus den Fällen NSU und Amri gelernt", sagte ein Ermittler.
DNA-Spuren führten zum Tatverdächtigen
Der Kasseler Regierungspräsident Lübcke war vor gut zwei Wochen auf der Terrasse seines Hauses im nordhessischen Wolfhagen-Istha erschossen worden. Polizei und Staatsanwaltschaft waren zunächst von einem Täter im privaten Umfeld des CDU-Politikers ausgegangen.
Der 65-jährige Lübcke hatte sich mit seinem öffentlichen Eintreten für die deutsche Asylpolitik und die Rechte von Schutzsuchenden Feinde gemacht. Er war beschimpft und bedroht worden. Als Regierungspräsident war er für die Unterbringung von Asylbewerbern im nördlichen Teil Hessens zuständig. Nach seinem Tod hatten fremdenfeindliche Hetzer im Internet über sein Ableben gejubelt, was bundesweit für Empörung gesorgt hatte. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte die Verunglimpfungen kritisiert.
Nach Informationen von NDR, WDR und SZ waren die Ermittler durch DNA-Spuren an der Kleidung des Opfers auf den Tatverdächtigen gekommen. Der Mann sitzt nun in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt in Kassel.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde als Herkunftsort von Stephan E. das bayerische Lichtenfels genannt. An dieser Information sind im Laufe der Recherche Zweifel aufgekommen, weshalb wir den Ort in diesem Artikel nun nicht mehr nennen.