Linkspartei:Siegeszug zum Sitzungssaal

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Die Linken sind die bunteste Fraktion im Parlament seit dem Einzug der Grünen im Jahr 1983.

Von Robert Roßmann, Berlin

Das ist also der erste Bild der neuen Linken im Bundestag: vorne der kleine Gregor Gysi, ein silbernes Handy am Ohr. Dahinter Oskar Lafontaine mit einem schwarzen Aktenkoffer und Lothar Bisky, einen Trolley hinter sich herziehend.

Es ist 11.03 Uhr, als sich die Aufzugtür in der Präsidialebene öffnet und die sozialistische Troika erscheint - der Beginn einer neuen Ära. Erst am Dienstag war im selben Aufzug eine andere Ära zu Ende gegangen: "Ciao ragazzi", hatte Joschka Fischer gemurmelt, bevor sich die Tür hinter ihm schloss, und er in den Ruhestand rauschte.

Jetzt fahren in dem Aufzug drei Pensionäre zurück in die politische Arena. Sechseinhalb Jahre nach seinem spektakulären Rücktritt zieht Lafontaine wieder in den Bundestag ein - zusammen mit Gysi, dem Ex-Fraktionschef, Ex-Wirtschaftssenator und Ex-PDS-Vorsitzenden.

Wie beim "Großen Bellheim"

Auch Parteichef Bisky war eigentlich schon im Ruhestand. Es ist eine Szene wie aus dem "Großen Bellheim": Lafontaine, Gysi und Bisky hielten es wie Mario Adorf, Hans Korte und Will Quadflieg in der berühmten TV-Saga. Das Ergebnis sind stolze 8,7 Prozent.

Unter Führung der Altvorderen wurde die Linkspartei aus dem Stand stärker als CSU und Grüne. 54Abgeordnete stellen die Linken - ein bunter Haufen, wie ihn das Parlament seit dem Einzug der Grünen 1983 nicht mehr erlebt hat.

Als Erster marschiert der Politbarde Diether Dehm ("Tausendmal berührt") ein. Es folgen Luc Jochimsen, frühere Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, und der beurlaubte Bundesrichter Wolfgang Neskovic (der mit dem Hasch-Urteil). Auch Norman Paech und Kakki Keskin sind da, Hamburger Völkerrechtler der eine, Vorsitzende der Berliner Türkischen Gemeinde der andere. Monika Knoche saß schon acht Jahre für die Grünen im Bundestag, der bisherige Sozialdemokrat Ulrich Maurer ist noch Landtagsabgeordneter in Stuttgart.

Auch die Bisky-Stellvertreter Dagmar Enkelmann und Katja Kipping haben es geschafft - ehemalige Miss Bundestag die eine, mögliche neue die andere. Dann sind da Wahlkampfchef Bodo Ramelow, der Ex-Fraktionsvorsitzende Roland Claus, der Geschäftsführer des Neuen Deutschland, Dietmar Bartsch, sowie die bisherigen Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch.

Auch die WASG-Chefs Klaus Ernst und Axel Troost sitzen im neuen Bundestag. Dazwischen finden sich neben jeder Menge Gewerkschafter aber auch Rinderzüchter, Diplom-Philosophen, Baustoff-Technologinnen, Floristen, Schlosserinnen, Ernährungswissenschaftler, Diplom-Sozialökonomen und selbst ernannte "Friedensarbeiter".

Auch Ulla Jelpke, die Intimfeindin der Parteispitze, ist wieder dabei. Aus Hessen kommt Wolfgang Gehrcke, Ex-Mitglied von KPD und DKP. Sogar eine ALG-II-Empfängerin ist unter den Abgeordneten. Die meisten laufen an diesem Freitag noch etwas desorientiert durch die Gänge des Parlaments.

Entsprechend begehrt sind die Stände der Bundestagreferate ZA2 ("Information und Beratung zur Einstellung von Mitarbeitern") und PB3 ("Dienst- und Mandatsreisen"). Auch von den "Informationen für neu gewählte Abgeordnete" bleibt kaum eine liegen. Die meisten Parlamentarier kennen sich noch nicht einmal untereinander.

Vorstellungsrunde wie an der Uni

Und so beginnt die erste Fraktionssitzung einer gesamtdeutschen Linkspartei seit KPD-Zeiten wie ein Hochschulseminar: Mit einer Vorstellungsrunde. "Mein Name ist Oskar Lafontaine. Ich bin verheiratet und habe zwei Söhne, die noch nicht so viel Öffentlichkeit produzieren" - das sind die ersten Sätze des früheren SPD-Chefs auf der neuen Bühne.

Mitarbeiter der Wahlkampfzentrale haben ihm eine weiß-blaue Plastiktüte mit dem Berliner Fernsehturm auf den Tisch gelegt. "Lieber Oskar, nach Deinem anstrengenden Wahlkampf wünschen wir Dir viel Kraft und Erfolg im Deutschen Bundestag. Das linke WahlQuartier", steht darauf.

Drinnen stecken ein Bananen-Müsliriegel, Gummibärchen und der Plan der Berliner U-Bahn. Eine Stunde später hat die Fraktion Lafontaine mit 94Prozent der Stimmen zum Vorsitzenden gewählt, Gysi bekommt 93Prozent.

Um schlechte Ergebnisse und sonstigen Ärger auf der ersten Sitzung zu vermeiden, hatte der Vorstand alle anderen Wahlen - und damit den Streit um eine ausreichende Beteiligung der Frauen, auf eine Klausurtagung verschoben. Die männliche Spitze soll dann durch eine übergroße Zahl weiblicher Stellvertreter und Geschäftsführer ausgeglichen werden.

Dadurch könnte dann Lothar Bisky, obwohl Mann, doch noch Vizepräsident des Bundestages werden. Bisher wünschen sich die Frauen Gesine Lötzsch statt seiner.

Wegen der Vertagung gingen auch alle anderen Diskussionen friedlich über die Bühne. Einstimmig entschieden die Abgeordneten, ihre Fraktion "Die Linke" zu nennen, weil das "schön und anmaßend" sei.

Einmütig befand man, zwar zur Übernahme von Regierungverantwortung bereit zu sein - das aber nur mit Partnern, die Hartz IV, die Agenda 2010 und Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnen.

Nach der Sitzung wiesen Gysi und Lafontaine deshalb alle Spekulationen zurück, Linkspartei-Abgeordnete könnten Gerhard Schröder zum Kanzler mitwählen. Dann stiegen die beiden in den Aufzug, und fuhren ihrer Zukunft entgegen.

© SZ vom 24.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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