Libyscher Gesandter in London:Auf der Suche nach dem Ausweg

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Immer mehr Mitglieder der libyschen Elite sagen sich von Diktator Gaddafi los. Einem Medienbericht zufolge verhandelt ein Vertrauter eines Gaddafi-Sohns in geheimer Mission: Auch die Kinder des Despoten zweifeln offenbar, dass sich ihr Vater an der Macht halten kann.

Während die internationale Allianz weiter mit Luftangriffen und einem strengen Waffenembargo versucht, weitere Verbrechen des libyischen Diktators Muammar al-Gaddafi gegen die eigene Bevölkerung zu verhindern und diesen zum Rücktritt zu bewegen, wird auch in Londoner Hinterzimmern über mögliche Strategien verhandelt. Aus diesem Grund ist offenbar ein libyscher Diplomat nach Großbritannien gereist.

Gaddafi-Sohn Saif al-Islam ist selbst kein Unbekannter auf dem diplomatischen Parkett: Diese Aufnahme von 2007 zeigt ihn mit dem damaligen deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei Verhandlungen über sechs zum Tode verurteilte ausländische Entwicklungshelfer, die libysche Kinder mit HIV infiziert haben sollen. Diesmal schickte Saif al-Islam seinen Vertrauten Mohammed Ismail für Verhandlungen nach London. (Foto: AFP)

Mohammed Ismail, ein enger Vertrauter des Gaddafi-Sohns Said al-Islam, sei in London, berichtet der Guardian, um über die Zukunft des Regimes zu verhandeln. Mohammed wer? Während der am gestrigen Donnerstag nach London geflohene Ex-Außenminister und frühere Geheimdienstchef Mussa Kussa in Diplomatenkreisen eine bekannte Größe ist - sein Name fiel in Zusammenhang mit dem libyschen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen ebenso wie im Kontext des Lockerbie-Attentats -, stellt Ismail eine unbekannte Variable dar.

Der Guardian beschreibt ihn als fixer des Gaddafi-Sohns Saif al-Islam, als rechte Hand und charakterisiert ihn als "intelligent, diskret und mächtig". Ismail habe bereits mehrfach als Vermittler für das libysche Regime fungiert, berichtet das Blatt in Berufung auf Wikileaks-Depeschen, bei Verhandlungen über Waffenkäufe ebenso wie bei diplomatischen Kontakten.

Während Ismails Besuch nach Angaben aus Triplois rein privater Natur ist - seine Kinder werden in Großbritannien ausgebildet -, bestätigen Londoner Regierungsquellen laut Guardian den diplomatischen Hintergrund seiner Reise. Angaben über den Fortschritt oder den genauen Gegenstand der Gespräche wollte das britische Außenministerium der Zeitung gegenüber zwar nicht machen. Allerdings sagte ein Sprecher: "Die Botschaft, die ihm übermittelt wurde, lautet: Gaddafi muss gehen und ein internationaler Strafgerichtshof wird über die Verantwortlichkeiten der begangenen Straftaten befinden."

Diplomat aus der zweiten Reihe

Was hat es zu bedeuten, dass mit Ismail ein Diplomat aus der zweiten Reihe in London verhandelt? Zum einen wird daran zum wiederholten Male deutlich, wie verworren und undurchschaubar das Machtgefüge zwischen Geheimdienst, Militär und Politik in Libyen ist. Welche Figuren über welche Ressourcen verfügen und wer noch welchen Rückhalt besitzt, darüber können selbst Experten nur rätseln.

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"Der Sicherheitsapparat ist ganz und gar undurchsichtig", sagte der frühere britische Botschafter in Libyen, Richard Dalton, dem Guardian. Es sei "unglaublich schwierig", die Befehlsstrukturen in Libyen zu deuten, so der Diplomat. "Dann gibt es da diese mysteriöse Einheit der 'Alten Garde'. Ich habe sie stets gemieden, weil es so schwer zu sagen war, wer sie sind."

Auf den Straßen von Tripolis wird noch immer für Muammar al-Gaddafi demonstriert. Wie stark der Rückhalt in der Bevölkerung für den Alleinherrscher, lässt sich schwer beurteilen. (Foto: dpa)

Zum anderen könnte Ismails Besuch ein weiterer Beleg dafür sein, dass Gaddafis Söhne - zumindest teilweise und trotz ihrer kriegstreiberischen Rhetorik - nach Exit-Strategien suchen; auch wenn sie den Vater dabei notfalls übergehen müssten.

Drei Söhne im Mittelpunkt

Drei der insgesamt sieben Gaddafi-Söhne stehen in der politischen Krise im Blickpunkt: Saif al-Islam, Saadi und Mutassim. Alle verfügen sie über eigene Netzwerke, sie protegieren ihre eigenen Leute, stützen sich auf eigene Ressourcen - und konkurrieren auch um die Macht im desolaten Staat.

Mutassim agiert derzeit als nationaler Sicherheitsberater des Landes. Ein Gerücht besagt, dass Vater Muammar al-Gaddafi die Macht abgeben und sein vierter Sohn Motassim als Übergangspräsident eine Interimsregierung anführen könnte, an der auch die Opposition beteiligt wäre. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass die Rebellen diesem Vorschlag zustimmen würden.

Der als einflussreich geltende Saif al-Islam lässt mit Mohammed Ismail offenbar einen engen Vertrauten in London mögliche Optionen sondieren. "Es gab zuletzt vermehrt Belege dafür, dass die Söhne einen Ausweg wollen", zitiert der Guardian eine "westliche diplomatische Quelle". Die kriegstreiberische Rhetorik der Söhne solle nicht überbewertet werden.

Zu diesen Belegen zählen auch die Berichte von einer wachsenden Zahl libyscher Führungsfiguren, die Gaddafi die Gefolgschaft versagen. So lehnte Ali Abdusallam Treki seine Berufung als Gaddafis UN-Botschafter ab. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, verurteile er, dass "Blut vergossen" werde. Auch der stellvertretende Botschafter in London, Tarek Khalid Ibrahim, könnte Berichten zufolge überlaufen. Zuvor waren gerade im Osten des Landes ganze Armee-Einheiten zu den Aufständischen übergelaufen.

Der arabische Nachrichtensender al-Dschasira zitierte indes einen libyschen Topdiplomaten, der jetzt auf Seiten der Opposition steht. Die meisten hochrangigen Beamten würden gern flüchten, sagte dieser der Nachrichtenagentur dpa zufolge, würden aber streng bewacht und hätten deshalb Schwierigkeiten, das Land zu verlassen. Auch eine Gruppe von Topbeamten, die zu Gesprächen nach Tunesien gereist war, wolle nicht wieder nach Hause zurückkehren.

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