Libyen auf dem Weg in die Demokratie:In der stillen Masse lebt die Revolution fort

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Die Zerstörungswut der Islamisten, die die libysche Regierung jetzt verbieten will, hat nie den Willen der gesamten Gesellschaft in Libyen, Ägypten oder Tunesien ausgedrückt. Im Gegenteil: Während in den Medien vor allem Radikale eine große Bühne finden, agiert die Masse der stillen, demokratiefreundlichen Akteure weitgehend im Hintergrund.

Sonja Zekri, Kairo

Die arabische Straße hat sich erhoben und in Libyen die Islamisten in die Flucht geschlagen. Dort löst sich - auf Druck des Volkes - eine islamistische Miliz auf. Die Libyer haben sich für mehr Staat ausgesprochen und gegen Selfmade-Tugendwächter, die in Schlabberhosen Passanten einschüchtern. Und die im Verdacht stehen, die Wut über den Mohammed-Film ausgenutzt zu haben, um den US-Botschafter zu ermorden. Eine kleine Sensation. Oder ein Trend?

Fast ein Jahr nach dem Tod Gaddafis sind Milizführer oft mächtiger als Minister und ein großes Hindernis auf dem Weg zum Rechtsstaat. Und niemand beklagt dies mehr als die Libyer selbst. Zuvor hatten die Islamisten versucht, im Osten des Landes einen Gottesstaat zu errichten; sie waren gescheitert. Viele Libyer betrauerten den Tod des US-Diplomaten, den sie als Freund ihres Landes sahen.

Sehen so die arabischen Massen aus - amerikafeindlich bis zum Mord, fanatisch, demokratieunfähig?

In Ägypten versuchten die salafistischen Hetzer, Proteste gegen die französischen Mohammed-Karikaturen auf die Beine zu stellen. Gerade einmal 70 Menschen kamen. Viele Ägypter fühlten sich durch das Krawall-Schauspiel peinlich berührt - so kränkend es auch ist, dass gerade die intolerantesten Frömmler die Islambeschimpfung als Testfall für arabische Toleranz ausgeben. Gewiss, in Pakistan empört sich die Menge weiterhin auf Zuruf, und die libanesische Hisbollah und Iran inszenieren "spontane" Proteste. Doch in den Ländern des arabischen Frühlings funktioniert dies nur eingeschränkt.

Man sollte sich keine Illusionen machen. Die Extremisten - christliche Fundamentalisten wie Salafisten - werden weiterhin versuchen, ihre inhumanen Ideologien zu verbreiten. Die radikalen Islamisten könnten in Ägypten bei den nächsten Wahlen weitere Gewinne machen, womöglich vor allem auf Kosten der Muslimbrüder, die als Realpolitiker fremdeln. Dass in Ägypten und Tunesien Politiker und Kleriker neuerdings Gewalt und Intoleranz verurteilen, ist nicht plötzlicher Wertschätzung westlicher Werte geschuldet. Sie haben vielmehr begriffen, dass das Aggressionspotenzial der Salafisten Washington weniger bedroht als den Hoheitsanspruch ihrer eigenen islamistischen Regierungen.

Aber das ist nicht das Wichtigste. Die Zerstörungswut der Islamisten hat nie den Willen der gesamten Gesellschaft in Libyen, Ägypten oder Tunesien ausgedrückt. Der Westen, der eigene radikale Strömungen in den Medien oft boykottiert, hat ihnen nur die denkbar größte Bühne gegeben. Und der Rest? Früher gaben sich Mubarak, Ben Ali und Gaddafi als Bollwerk gegen den Islamismus, und der Westen musste sich einzig mit einer Handvoll Autokraten verständigen. So übersichtlich wird die arabische Welt nicht mehr werden.

Zu den neuen Akteuren gehören aber nicht nur die Radikalen, sondern auch jene, die stiller, vielleicht auch nur bequemer sind. Und die dann, wie in Libyen, ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen.

© SZ vom 24.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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