Meinungsforschung:Woher die erstaunlichen Unterschiede zwischen Umfragen und Wahlergebnis rühren

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Die Umfragen sagten den Grünen (hier bei der Wahlparty in Brandenburg) bessere Ergebnisse voraus, auch bei anderen Parteien gab es deutliche Abweichungen. (Foto: dpa)

Die Umfragen zu den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg lagen oft deutlich daneben. Dafür gibt es gute Gründe.

Von Christian Endt, München

Auf eine Sache legt Matthias Jung besonders viel Wert: "Umfragedaten sind keine Prognosen für den Wahlausgang", sagt der Chef der Forschungsgruppe Wahlen. Das gelte auch dann, wenn die Umfragen nur wenige Tage vor dem Wahltag erscheinen. Auch in diesen wenigen Tagen könne sich die politische Stimmung noch deutlich verändern, viele Wähler würden sich erst kurzfristig entscheiden.

Immer wieder mahnen Meinungsforscher zur Vorsicht, dennoch interpretieren Wähler und auch Journalisten die Umfragen oft als Wahlprognosen. Das liegt auch daran, dass die Zahlen der Befragungsinstitute dem Wahlergebnis meistens eben doch sehr nahe kommen. Der Anspruch, gegen den sich die Meinungsforscher wehren, ist eine Folge der Qualität ihrer Arbeit.

Die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen stellen da eine Ausnahme dar. In beiden Ländern weicht das Wahlergebnis zum Teil deutlich von allen Umfragen ab, die in den Tagen vor der Wahl erschienen sind. In Brandenburg beispielsweise kamen die Grünen auf 10,8 Prozent der Gesamtstimmen.

Die Forschungsgruppe Wahlen hatte der Partei noch drei Tage vor der Abstimmung 15 Prozent zugeschrieben. Die Abweichung beträgt mehr als das Doppelte der statistisch erwartbaren Fehlertoleranz von 1,7 Prozentpunkten. Auch die Werte von SPD, CDU und Linken in Brandenburg sowie von AfD, Linken und Grünen in Sachsen liegen außerhalb der Schwankungsbreite.

Besonders die kurzfristigen taktischen Entscheidungen der Wähler verändern das Bild

"Die Differenz zwischen Umfragen und Wahlergebnis ist tatsächlich größer als normal", sagt Matthias Jung. "Das liegt nach unserer Einschätzung vor allem an der deutlichen Polarisierung auf die Frage nach der stärksten Partei, die für diesen Wahlkampf charakteristisch war." Diese Polarisierung habe Wähler kleinerer Parteien dazu bewegt, für eine der jeweils aussichtsreichsten Parteien zu stimmen: also für SPD oder AfD in Brandenburg beziehungsweise CDU oder AfD in Sachsen. "Solche kurzfristigen, wahltaktischen Entscheidungen sind demoskopisch wesentlich schwieriger zu erfassen als langfristige Parteienbindungen", sagt Jung.

Auch Cornelius Hirsch, der als Analyst beim Medienunternehmen Politico vor allem Umfragedaten aus den EU-Staaten auswertet, sieht im taktisch begründeten Wechsel von den kleineren zu den führenden Parteien den wesentlichen Grund für den überraschenden Wahlausgang.

Bei den Grünen war die Abweichung besonders groß, sie gelten als "umfragefreundlich"

In den ostdeutschen Bundesländern seien solche Effekte besonders ausgeprägt, da die Bindung an bestimmte Parteien dort generell schwächer sei als im Westen, sagt Matthias Jung. Das erklärt auch, warum bei den Grünen die Abweichung zwischen Umfragen und Wahlergebnis besonders deutlich ausfällt: Die Partei hat in Ostdeutschland jenseits der Großstädte nur schwache Strukturen, entsprechend schnell verflüchtigt sich im Zweifel ihre Wählerschaft. Auch seien die Grünen eine "umfragefreundliche" Partei, wie Jung sagt - sie würden also in Umfragen häufig besser abschneiden als bei tatsächlichen Abstimmungen.

Einen weiteren Effekt dürfte die in beiden Bundesländern deutlich gestiegene Wahlbeteiligung haben. Meinungsforscher müssen mit ihren Umfragen schließlich zwei Dinge herausfinden: Erstens, welcher Partei die Befragten gerade zuneigen, und zweitens, ob sie beabsichtigen, tatsächlich zur Wahl zu gehen.

Letzteres wird durch die sogenannte soziale Erwünschtheit erschwert: Nicht jeder gibt am Telefon zu, dass sein politisches Interesse womöglich nicht ausreicht, um den Weg zum Wahllokal auf sich zu nehmen. Zwar haben Demoskopen Methoden entwickelt, um über Zusatzfragen dennoch zuverlässige Hinweise zur beabsichtigten Wahlteilnahme zu bekommen. "Wir haben einen Anstieg der Wahlbeteiligung in Sachsen und Brandenburg durchaus erwartet", sagt Jung. Ein Unsicherheitsfaktor bleibt dennoch.

Generell empfiehlt es sich, nicht einzelne Umfragen anzusehen, sondern die Daten mehrerer Institute zu vergleichen. Bei Landtagswahlen ist dies allerdings schwierig, da es für sie häufig nur wenige seriöse Anbieter gibt. In jedem Fall sind die Fehlertoleranzen zu berücksichtigen, die je nach Stichprobengröße und Stärke der Partei zwischen einem und drei Prozentpunkten liegen - nach oben wie nach unten. Genauere Umfragen sind nicht möglich, ohne jeden einzelnen Wähler zu befragen.

© SZ vom 03.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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