Landtag Düsseldorf:Rund 20.000 demonstrieren für soziale Angebote

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Der nordrhein-westfälische Landtag in Düsseldorf. (Foto: Oliver Berg/dpa/Archivbild)

Soziale Einrichtungen stehen unter Druck. Corona, Ukraine-Krieg und Fachkräftemangel zehren ihre Ressourcen auf. Tausende gehen auf die Straße, um auf die Lage der Kitas, des offenen Ganztags sowie der Alten- und Behindertenpflege aufmerksam zu machen.

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Düsseldorf (dpa/lnw) - Mehr als 20.000 Menschen haben am Donnerstag vor dem Düsseldorfer Landtag für den Erhalt sozialer Infrastruktur wie Kitas und schulischen Ganztagsangeboten demonstriert. Nach Angaben von Polizei und Veranstaltern wurde die ursprünglich erwartete Besucherzahl damit um das Vierfache übertroffen.

Bei der Kundgebung waren Demonstranten aus ganz Nordrhein-Westfalen vertreten. Sie trugen Banner und Plakate, auf denen unter anderem zu lesen war: „Kinder brauchen Knete - Wir auch!“ und „Wir tragen die Soziale Arbeit zu Grabe“. Einige Teilnehmer hatten selbstgebastelte Särge dabei. Die Kundgebung wurde von mehr als 140 Organisationen unterstützt. Landesweit gab es weitere dezentrale Aktionen.

Die Protestierenden befürchten starke Einschnitte und Versorgungsengpässe insbesondere bei Kitas, der sogenannten offenen Ganztagsschule (OGS) sowie der Betreuung von Senioren und Behinderten. Die Wohnungsnot bei Menschen mit Handicap spitze sich bereits zu, warnte der Landesverband Lebenshilfe NRW.

Der Vorsitzende der freien Wohlfahrtspflege in NRW, Christian Woltering, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir brauchen für manche Bereiche sofort ein Rettungspaket.“ Nötig sei ein Plan, der die soziale Infrastruktur langfristig sichere. „Nordrhein-Westfalen muss weiterhin das soziale Gewissen Deutschlands bleiben“, mahnte er.

„In den Kitas, Ganztagsschulen und weiteren sozialen Einrichtungen donnert es, aber Schwarz-Grün hört den Knall nicht“, warf SPD-Oppositionsführer Jochen Ott der Landesregierung vor. Die FDP bezeichnete die Großdemonstration als Weckruf und forderte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf, die Problematik zur Chefsache zu machen.

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft hat dazu aufgerufen, bis Weihnachten regelmäßig unter dem Motto „Es donnert in den Kitas - Kinder und Beschäftigte gefährdet“ Mahnwachen vor Staatskanzleien, Bundesministerien oder dem Kanzleramt abzuhalten. Die Fraktionschefin der Grünen-Landtagsfraktion, Verena Schäffer, signalisierte Gesprächsbereitschaft und sendete ein bemerkenswertes Signal an den großen Koalitionspartner CDU: „Mir sind die Kitas, OGS und sozialen Einrichtungen im Zweifel wichtiger als die schwarze Null im Haushalt.“

Die kommunalen Spitzenverbände in NRW bezweifeln, dass das Ziel des Rechtsanspruchs für Grundschulkinder auf einen ganztägigen Betreuungsplatz (OGS) ab dem Schuljahr 2026/27 flächendeckend eingehalten werden kann. Gründe seien unter anderem der Fachkräftemangel in Sozial- und Erziehungsberufen, aber auch fehlende Vorgaben, wie der Rechtsanspruch realisiert werden solle, heißt es in einer Stellungnahme der Spitzenverbände für eine Expertenanhörung zum Haushaltsentwurf 2024 am Donnerstag im Landtag.

Das Land müsse kurzfristig eine kommunalscharfe Prognose zur Inanspruchnahme von Ganztagsplätzen erstellen lassen, forderten sie. Dabei sei auch zu klären, ob Elternbeiträge zur Finanzierung der Betreuung erhoben werden sollten, weil hiervon die Nachfrage nach Plätzen maßgeblich abhänge.

Mit dem Schuljahr 2026/2027 tritt bundesweit der Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz der ersten Klassenstufen in Grundschulen in Kraft. Danach kommt jedes Jahr eine Jahrgangsstufe hinzu, so dass der Rechtsanspruch ab dem Schuljahr 2029/2030 dann für alle Grundschulkinder gilt.

Nach Schätzungen des Deutschen Jugendinstituts müssten allein in NRW bis dahin bei konstantem Elternbedarf 111 000 OGS-Plätze geschaffen werden, bei einem steigendem Elternbedarf wären es 153 000. Genaue Erkenntnisse fehlten allerdings.

Im NRW-Haushaltsentwurf 2024 ist eine Aufstockung um 38.000 OGS-Plätze auf 430.500 vorgesehen. Die Ausgaben zur Finanzierung des OGS-Personals wurden nach Angaben des Schulministeriums von 454 Millionen Euro im Jahr 2017 auf 715 Millionen Euro im Jahr 2023 erhöht. 2024 sollen die Mittel um 65 Millionen Euro auf dann rund 780 Millionen steigen.

Nach Angaben der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe reicht das nicht, denn die Träger könnten nicht die beschlossenen Tarifsteigerungen stemmen. Im Haushaltsplan 2024 veranschlage das Land eine nur minimale Steigerung von drei Prozent. Die Folgen könnten Abstriche etwa bei Betreuungszeiten oder die komplette Aufgabe von Ganztagsangeboten sein.

Laut einer deutschlandweiten Umfrage der Diakonie, der Arbeiterwohlfahrt und des Paritätischen Wohlfahrtsverbands haben soziale Einrichtungen seit Anfang 2022 eine Kostensteigerung von 16 Prozent verzeichnet. 65 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sie kurzfristig weitere Einschnitte bei Angeboten und Leistungen vornehmen müssen.

Von den 567 befragten Organisationen und Einrichtungen allein in NRW gaben knapp 30 Prozent an, sie hätten aus finanziellen Gründen bereits Leistungen einschränken müssen. 20 Angebote - rund 3,7 Prozent - mussten demnach sogar ganz eingestellt werden.

© dpa-infocom, dpa:231018-99-613613/6

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