Kurden-Demonstration in Köln:"Erdoğan lässt einem keine Luft zum Atmen"

Lesezeit: 3 min

Bis zu 15 000 Demonstranten wurden in Köln erwartet - bis zur Mittagszeit kamen deutlich weniger. (Foto: dpa)

Tausende Kurden demonstrieren in Köln gegen den autokratischen Kurs des türkischen Präsidenten Erdoğan. Sie sind wütend und enttäuscht - und werfen der Bundesregierung Tatenlosigkeit vor.

Von Varinia Bernau, Köln

Es gibt, sagt Cekdar B., ein kurdisches Sprichwort. "Die Kurden stehen immer mit einem Bein auf einer Beerdigung und mit einem auf einer Hochzeit." Und jetzt, da die Jugendlichen, auf dem Kölner Ebertplatz ihre gelben Fahnen mit dem Foto des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan schwingen, klatschen und Sprechgesänge angestimmt haben, so findet Cekdar B., zeigt sich die Bedeutung dieses Sprichworts besonders gut: Die Kurden seien ein mutiges Volk, das trotz seiner blutigen Geschichte nie die Hoffnung aufgegeben habe. Und das sich auch vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht unterkriegen lassen wird.

In der Nacht zum Freitag hat die türkische Polizei bei Razzien elf Abgeordnete der pro-kurdischen Partei HDP festgenommen, darunter die Parteichefs Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ. Es gab daraufhin in deutschen Städten einige spontane Protestkundgebungen. An diesem Samstag nun haben etwa 30 Organisationen zu einer großen Demonstration in der Kölner Innenstadt aufgerufen. 10 000 bis 15 000 Teilnehmer erwarteten die Veranstalter, darunter der Verband Nav-Dem, der der in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei PKK nahesteht.

"Der Befreiungskampf muss militärisch geführt werden"

Cekdar B., 30, studiert in Kassel Bauingenieurwesen. An diesem nasskalten Samstag aber ist auch er nach Köln gekommen. Die Stimmung, sagt er, erinnert ihn an die Neunzigerjahre, als die Spannungen zwischen den Kurden und der türkischen Regierung besonders spürbar waren, es in der Türkei Selbstmordattentate und auch auf deutschen Straßen große Demonstrationen gab. "Damals haben alle die PKK gefragt: Warum greift ihr zu den Waffen?" Aber nun, nach der Festnahme der HDP-Politiker, zeige sich, dass durchs Parlament eben kein Weg führe. "Der Befreiungskampf muss militärisch und ideologisch geführt werden", sagt B. - und zieht an seiner Zigarette.

"Sind ziemlich wenige gekommen - dafür, was da in der Türkei abgeht", sagt eine ältere Frau, als sich am Vormittag die ersten Demonstranten auf dem grauen Beton versammeln - um die Mittagszeit sind es laut Polizei einige Tausend. Eine knappe Stunde später aber, als von einem Wagen aus die ersten Redner Erdoğan einen Faschisten schimpfen, stehen die Menschen dicht an dicht, sogar die begrünten Hänge hinauf. Einer hält ein Schild empor: "Frau Merkel, nicht aussitzen, Position beziehen." Ein älterer Kurde, der fürs Fernsehen interviewt wird, zitiert Goethe: Wer in der Demokratie schlafe, der wache in der Diktatur auf, habe der doch gesagt. Wo also seien nun die Demokraten?

Ganz vorne vor der improvisierten Bühne halten mehrere Menschen ein großes Transparent mit den Fotos der HDP-Abgeordneten in die Höhe, die festgenommen wurden. Oder, wie B. es ausdrückt, "aus dem Parlament entführt wurden." Mehr als fünf Millionen Stimmen, die Stimmen derer, die diese Politiker gewählt haben, seien so mundtot gemacht worden. Um B. herum stehen viele andere jungen Kurden. Menschen, die zwar in Deutschland leben, aber Verwandte in den kurdischen Gebieten der Türkei haben. Was sie empfinden? "Wut, Trauer und Enttäuschung."

"Es fehlen die klaren Worte"

Sie wünschen sich, dass Deutschland, aber auch die EU, ihre politischen Möglichkeiten nutzt, um Erdoğan in seinem immer autokratischeren Kurs aufzuhalten. Mit Sanktionen, mit politischem Druck. "Dass Erdoğan heute so mächtig ist, liegt auch daran, dass Deutschland keine kritischen Worte findet", sagt ein Demonstrant. "Deswegen tragen wir unseren Protest auf die deutschen Straßen." Eine andere Demonstrantin schimpft, dass die hiesigen Politiker nur an ihren Flüchtlingspakt denken - und Erdoğan somit alles durchgehen lassen.

"Es fehlen die klaren Worte", sagt die Studentin Zaran B. Ihre Verwandten in der Türkei haben Angst, sagt die 23-Jährige. Einige seien zu Verwandten in andere Regionen gezogen. Den Anschlägen und Ausgangssperren in ihrer Heimat konnten sie so entkommen. Der Angst nicht.

Ihr macht Sorge, dass auch kritische Lehrer verhaftet wurden, die Medien gleichgeschaltet werden. "Die Menschen hinterfragen die Entwicklungen dann irgendwann nicht mehr, sie glauben einfach, was Erdoğan behauptet. Ein großer Brainwash ist das." Und zwar nicht nur in der Türkei. "Viele europäische Medien übernehmen die Informationen von türkischen Medien." Als es kürzlich einen Anschlag gab, schrieben türkische Zeitungen, dass dieser von der PKK verübt worden sei. Dass sich später der IS dazu bekannte, habe kaum noch einer mehr mitbekommen. Auch nicht in Europa. Beritan hat deshalb mit der kurdischen Jugendorganisation eine Veranstaltungsreihe mit auf die Beine gestellt, um klarzumachen, dass auch Ditib, der Verband, der sich in Deutschland um die Ausbildung von Imamen und das Leben in den Moscheen kümmert, nur eine Marionette Erdoğans sei.

"Erdoğan lässt einem keine Luft zum Atmen", sagt Zaran B. - dabei sei Vielfalt doch etwas Gutes. Etwas, das auch die Deutschen immer wieder als einen wichtigen Wert hochhalten. "Warum geben wir der Türkei nicht etwas Nachhilfe in Sachen Integration?"

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Erdoğan
:Die Türkei eilt mit Riesenschritten Richtung Autokratie

Erst schafft Erdoğan die Pressefreiheit ab, nun werden Oppositionelle festgenommen. Der türkische Präsident macht alle mundtot, die sich ihm in den Weg stellen.

Kommentar von Luisa Seeling

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: