Rechtsprechung:Bruch mit dem alten Leben

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Schwer bewacht: Ein Polizist vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf bei einem Terror-Prozess, bei dem ein Kronzeuge aussagt. (Foto: Wolfram Kastl/dpa/picture alliance)

Wie die Justiz in Deutschland mit Kronzeugen verfährt - und in welchen Prozessen die eine wichtige Rolle spielen.

Von Wolfgang Janisch

Der Begriff "Kronzeuge" stammt zwar aus dem angelsächsischen Rechtssystem, dort heißt er "King's evidence". Aber natürlich gibt es ihn auch in Deutschland, sogar schon sehr lange. Überliefert ist der Fall eines Diebes namens Strauß aus dem Jahr 1841, durch dessen Aussage eine regelrechte Verhaftungswelle ausgelöst wurde - was zu einem spürbaren Rückgang der Kriminalität in Schleswig-Holstein geführt haben soll. Und ein Schicksal teilen Kronzeugen überall, das zeigt der Fall aus den Niederlanden, wo sogar der Beistand eines Kronzeugen Opfer eines Anschlags wurde: Sie ziehen den Zorn derer auf sich, die sie ans Messer geliefert haben.

In der Bundesrepublik hat sich die Kronzeugenregelung, stets gegen den Widerstand der Strafverteidiger, über die Jahrzehnte hinweg ausgeweitet. 1982 wurde sie für Drogendelikte eingeführt, 1989 auf Terrorismus erstreckt, 1994 auf organisierte Kriminalität. Seit 2009 gibt es die sogenannte "große Kronzeugenregelung". Wer selbst einer mittleren oder schweren Straftat beschuldigt wird, kann sich eine mildere Strafe erkaufen, wenn er entscheidend zur Aufklärung anderer Straftaten beiträgt, die mit seiner Tat "im Zusammenhang" stehen. Der Rabatt kann beträchtlich sein, sogar Mörder können davon profitieren. Statt dem ansonsten zwingenden "Lebenslang" sinkt die Mindeststrafe auf zehn Jahre.

In der Praxis spielt der Kronzeuge vor allem bei Drogendelikten eine wichtige Rolle. Daneben kommt der Deal Aussage gegen Strafrabatt eher sporadisch zur Anwendung. Immerhin habe die Regelung bei den Syrien-Rückkehrern ganz gut funktioniert, die zur Aufklärung des islamistischen Terrors beigetragen hätten, hat der Augsburger Rechtswissenschaftler Stephan Christoph beobachtet. Schwierig ist freilich, dass der Angeklagte sozusagen die Katze im Sack kauft. Seine Aussage muss er bereits im Ermittlungsverfahren machen - der Rabatt wird aber erst am Ende des Prozesses festgelegt.

Die Aussagen fordern oft einen hohen Preis

Sobald es um organisierte Kriminalität geht, dominiert zudem die Angst vor Vergeltung. Wer auspackt, kann sich unter Umständen seines Lebens nicht mehr sicher sein. Gleiches gilt für Rockergangs. Vor ein paar Jahren sagte ein ehemaliges Mitglied der "Bandidos" gegen mehrere Gangmitglieder aus - und wurde schon auf dem Weg in den Gerichtssaal bedroht. Ähnlich erging es einem Mitglied der "Hell's Angels", der sich in einem Mordprozess mit einer Aussage eine lebenslange Haftstrafe erspart hatte. Er kam in ein Zeugenschutzprogramm; nicht einmal sein Anwalt durfte wissen, in welchem Gefängnis er saß.

Nach den Erfahrungen des Strafverteidigers Stefan Conen sind solche Zeugenschutzprogramme durchaus sicher. Ihm sei kein Fall bekannt, in dem einem Kronzeugen etwas passiert sei. Zwiespältig seien solche Programme aber, weil sie an sehr enge Voraussetzungen geknüpft seien. "Die Leute müssen sich dem Regime des Zeugenschutzes unterordnen. Einfach mal mit der Familie spazieren gehen, das geht dann nicht mehr." Auf der höchsten Stufe bedeute Zeugenschutz einen Bruch mit dem bisherigen Leben. Was manchen Zeugen dazu veranlasst, doch lieber mit dem Risiko zu leben.

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