Kritik an Sicherheitsbehörden:Wer nicht sehen will

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Dilettantismus, Bürokratie und Unaufmerksamkeit: Die US-Geheimdienste sammeln viele Daten - aber die Querverbindungen fehlen. Nach dem vereitelten Anschlag suchen sie jetzt nach Schwachstellen im System.

H. Leyendecker

Was muss eigentlich noch passieren, damit amerikanische Nachrichtendienste frühzeitig einen potentiellen Attentäter erkennen? Warum konnte der aus Nigeria stammende Möchtegern-Bomber Umar Farouk Abdulmutallab beinahe das tun, was er tun wollte?

Geheimdienste bekamen schon lange vor dem Anschlag entscheidende Hinweise, aber niemand fügte das Bild zusammen: Sicherheitscheck am Flughafen in Los Angeles. (Foto: Foto: AP)

Natürlich, hinterher ist man immer schlauer, aber die Antworten auf diese beiden Fragen handeln von Pech und unglücklichen Umständen, aber auch von Dilettantismus, von Bürokratie und Unaufmerksamkeit der US-Geheimdienste. Nach dem nur durch glückliche Umstände und Zivilcourage von Passagieren vereitelten Anschlag auf ein Verkehrsflugzeug am 25. Dezember über Detroit hat US-Präsident Barack Obama "Fehler im System und menschliches Versagen" eingeräumt. Die Lücken seien "vollkommen inakzeptabel".

Abgeschlossen ist die Untersuchung des Falles längst noch nicht, doch bereits die ersten bekannt gewordenen Details machen deutlich, dass es offenkundig gravierende Probleme im Innenleben der monströsen amerikanischen Geheimdienstapparate gibt. Dienste und US-Diplomaten bekamen lange vor dem geplanten Anschlag Hinweise und Tipps, aber niemand fügte das Bild zusammen und deutete es ordentlich.

Hinweise alarmierend

Dabei waren die Hinweise wirklich alarmierend. Vor mehr als einem Monat, am 19. November, alarmierte der in Nigeria sehr angesehene Vater des Möchtegern-Bombers Diplomaten der amerikanischen Botschaft in Nigerias Hauptstadt Abuja. Er berichtete, sein Sohn, der jahrelang in London auf einer Eliteuniversität studiert habe, sei durch Islamisten radikalisiert worden.

Er mache sich Sorgen, denn der 23-Jährige sei seit August im Jemen untergetaucht und wollte keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Das hatte der junge Mann einem Cousin per SMS mitgeteilt. Auf seinem Visum stand, dass er Arabisch lernen wollte.

Radikalisiert, abgetaucht, Sprachschule im Jemen - da hätten eigentlich sämtliche Ampeln auf Rot gehen müssen. Die CIA, aber auch andere Nachrichtendienste wie der BND, haben in den vergangenen Jahren lange Abhandlungen darüber verfasst, dass die Terrororganisation al-Qaida in dem zerfallenen Jemen immer stärker werde und dass die Sprachschulen in diesem bitterarmen archaischen arabischen Land besonders radikal seien.

Nachdem der Vater die US-Botschaft in Abuja verlassen hatte, sollen sich Agenten mehrerer amerikanischer Geheimdienste mit dem Vorgang beschäftigt haben. Parallel dazu hatte der Vater die Behörden seines Heimatlandes informiert. Und was geschah wirklich?

Der Name des 23-Jährigen kam auf eine ellenlange Liste, auf der die Namen von mehr als einer halben Million Menschen stehen, die möglicherweise eine Verbindung zu Terroristen haben. Daneben gibt es mindestens zwei weitere Listen: Auf der größeren stehen die Namen von 14 000 potentiell bedenklichen Passagieren. Sie sollen besonders untersucht werden, bevor sie mitfliegen dürfen. Daneben gibt es eine Liste mit 4000 Namen von Leuten, die angeblich sehr verdächtig sind und deshalb in keinem Fall mitfliegen dürfen. Umar Farouk war nicht darauf, also ein Allerweltsfall.

Anfang Dezember belauschte ein amerikanischer Nachrichtendienst ein Telefonat von Gotteskriegern im Jemen. Einer der Männer soll gesagt haben, ein "nigerianischer Junge" sei für einen Anschlag vorbereitet worden. Im Oktober bereits hatten jemenitische Kämpfer von al-Qaida im Internet erklärt, "die Flughäfen in den westlichen Kreuzfahrerstaaten" und die "Flugzeuge" seien "lohnende Ziele". Kurz vor Weihnachten hatte ein Gotteskieger im Jemen schwadroniert, "wir tragen eine Bombe, um die Feinde Gottes zu treffen". Die Warnmeldung des Vaters, die Oktober-Meldung und das abgehörte Telefonat wurden nicht zusammengefügt.

Nachrichtendienste sammeln jeden Tag Millionen Daten, sie erinnern manchmal an Wale, die Tonnen von Wasser in sich hineinschwappen lassen für ein paar Gramm Plankton. Die amerikanischen Dienste sind nach dem Desaster des 11. September 2001 gewaltig ausgebaut worden, damit sie das Plankton erkennen - aber die Fehler von einst scheinen sich zu wiederholen.

Warum schlug niemand Alarm?

Der aus reichem Haus stammende Umar Farouk durfte zwar nicht mehr nach Großbritannien einreisen, weil den Behörden in England aufgefallen war, dass er für ein neues Studentenvisum einen Kurs angegeben hatte, den es gar nicht gab. Aber er behielt das amerikanische Touristenvisum, das ihm schon 2008 ausgestellt worden war und das bis 2010 galt. Warum schlug niemand Alarm?

Die Geschichte des islamistischen Terrorismus ist manchmal dunkel und verworren, manche ihrer Hauptfiguren bleiben schattenhaft, es gibt mitunter Widersprüche, doch der Fall des Nigerianers war wie aus einem Lehrbuch der al-Qaida: Er hatte jahrelang Kontakte zu radikalen Muslimen, er verteidigte in Diskussionen die Taliban, seine Mitstudenten nannten ihn Alfa, den Gelehrten, weil er ungewöhnlich fromm war, er hatte sich im Jemen aufgehalten. Sein Lebenslauf liest sich, im Nachhinein zumindest, wie ein Karteiblatt eines neuen Dschihad-Kämpfers.

Offenbar ohne große Probleme checkte er in Amsterdam bei der US-Fluglinie Nordwest für einen Flug nach Detroit ein. Er hatte nur ein One-Way-Ticket gekauft und gab kein Gepäck auf. Dennoch gelangte er mit 80 Gramm Sprengstoff, den er in die Unterhose eingenäht hatte, an Bord der Maschine. Jeder gewöhnliche Passagier, der nur einen Hinflug in die USA bucht, weiß, welche Unannehmlichkeiten ihm drohen können und wie viele Fragen ihm gestellt werden. Jemand, der Haarspray im Gepäck hat, macht sich verdächtig. Nur der freundliche Nigerianer, der erst Anfang des Monats den Jemen verlassen hatte, bekam keine Probleme. Das alles ist schon sehr rätselhaft.

© SZ vom 31.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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