Krieg in Nahost:Was über die Militäroperation im Al-Schifa-Krankenhaus bekannt ist

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Auf diesem vom israelischen Militär veröffentlichten Bild steht ein Soldat neben medizinischen Gütern, welche die Armee eigenen Angaben zufolge in die Klinik gebracht hat. (Foto: -/AFP)

Israel vermutet in der Klinik eine Art Schaltzentrale der Hamas. Die radikalislamische Organisation bestreitet das. Die Informationslage ist diffus. Eine Übersicht über die Nachrichten und die Hintergründe.

Von Julia Bergmann

Fehlende Medikamente, kein Wasser, Treibstoffmangel bei Stromgeneratoren - seit Tagen spitzt sich die Lage im größten Krankenhaus im Gazastreifen dramatisch zu. Die Umstände in der Einrichtung sind katastrophal, Ärzte und internationale Hilfsorganisationen fürchten um das Leben Tausender Zivilisten und nahe der Klinik liefern sich israelische Soldaten und die Hamas seit Tagen Gefechte.

In den frühen Morgenstunden dringt die israelische Armee schließlich in das Al-Schifa-Krankenhaus ein. Am Mittwochvormittag dauert die Militäroperation an, die Lage ist unübersichtlich und über viele Details kursieren widersprüchliche Informationen. Ein Überblick über bisher bekannte Fakten.

Was ist passiert?

Eigenen Angaben zufolge hat das israelische Militär bei der Operation im Al-Schifa-Krankenhaus mehrere Kämpfer der radikalislamischen Hamas getötet. "Bevor unsere Soldaten in das Krankenhaus vorgedrungen sind, waren sie mit Sprengsätzen und Gruppen von Terroristen konfrontiert. Es folgten Kämpfe, bei denen Terroristen getötet wurden", teilt ein Sprecher mit.

Es habe aber, anders als erwartet, keine Hinweise darauf gegeben, dass Geiseln in der Klinik festgehalten werden, wie israelische Medien unter Berufung auf die Armee melden. Das Militär hoffe allerdings, auf dem Klinikgelände zumindest Informationen über den Verbleib der am 7. Oktober von der Hamas aus Israel in den Gazastreifen verschleppten Personen zu finden.

Warum operiert das israelische Militär im Inneren der Klinik?

Auf dem Klinikgelände - so vermutet das israelische Militär - soll sich eine Art Schaltzentrale der Hamas befinden. Ein Armeesprecher verwies auf entsprechende Geheimdienstinformationen. Ein Bereich der Klinik sei der zentrale Knotenpunkt für Operationen der Terrororganisation. Man habe bei der Militäroperation am Morgen auch Waffen in dem Gebäude gefunden. Für die Israelis ist das ein Beweis für ihre Vermutung. Die Hamas bestreitet das allerdings.

Die US-Regierung hatte bereits am Dienstag von Informationen berichtet, denen zufolge Krankenhäuser - auch die Al-Schifa-Klinik - als Schaltzentralen und Waffenlager der Hamas und anderer islamistischer Gruppen dienten. Diese nutzten unter den Krankenhäusern gelegene Tunnel, "um ihre Militäroperationen zu verbergen und voranzutreiben und um Geiseln festzuhalten", sagte John Kirby, Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA. Das sei ein Kriegsverbrechen. Gleichzeitig mahnte er, dass diese Information Israel nicht von der Verantwortung entbinde, die Zivilbevölkerung zu schützen.

Wie ist die Operation abgelaufen?

An der israelischen Operation sollen medizinische Teams und arabischsprachige Militärangehörige beteiligt gewesen sein. Nach Armeeangaben sollen sie eine spezielle Ausbildung durchlaufen haben, die sicherstellen soll, dass Zivilisten kein Schaden zugefügt werde. "Wir fordern alle im Krankenhaus anwesenden Hamas-Terroristen auf, sich zu ergeben", sagte ein Sprecher der israelischen Armee.

Das israelische Militär soll die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde kurz vor Beginn der Militäroperation gewarnt haben, dass man den Krankenhauskomplex "in den nächsten Minuten" angreifen werde.

Was ist über die Situation im Al-Shifa-Krankenhaus bekannt?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilt am Mittwochvormittag mit, sie habe den Kontakt zu Mitarbeitern der Klinik verloren. "Wir sind sehr besorgt um ihre Sicherheit und die ihrer Patienten", schreibt Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus auf der Online-Plattform X (ehemals Twitter).

Zum Zeitpunkt der israelischen Militäroperation sollen sich laut der WHO mehr als 2000 Menschen in der Al-Schifa-Klinik befunden haben. Vermutlich handelt es sich um 600 Patienten und etwa 1500 Vertriebene, die dort Zuflucht gesucht hatten. Allerdings kursieren, je nach Quelle, teils deutlich unterschiedliche Zahlen. Nach palästinensischen Angaben etwa sollen sich in der Klinik 650 Patienten, darunter 100 Intensivpatienten, und 500 Mitarbeiter aufgehalten haben. Hinzu kämen noch einmal 4000 Binnenvertriebene auf dem Klinikgelände. Über mögliche Opferzahlen infolge der Militäroperation ist bisher nicht viel bekannt, lediglich im israelischen Armeeradio war am Mittwochmorgen von fünf Toten die Rede.

Befinden sich Patienten in Lebensgefahr?

Über die Situation der Patienten im Krankenhaus kursieren widersprüchliche Angaben. Klar ist, dass sich deren Lage bereits in den vergangenen Tagen und Wochen im Zuge der Gefechte immer weiter zugespitzt hat. Inwieweit die jüngste israelische Militäroperation etwas an den Umständen geändert hat, ist unklar.

Bereits in der vergangenen Woche war der Klinik der Treibstoff für Stromgeneratoren ausgegangen. Dem Arzt Ahmed Muchallalati zufolge befinden sich momentan etwa 100 Patienten der Klinik in Lebensgefahr.

Das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium im Gazastreifen spricht von sieben Neugeborenen, die bisher nach dem Abschalten von Sauerstoffgeräten wegen des Treibstoffmangels ums Leben gekommen sind. Die Angaben sind nicht unabhängig zu überprüfen. Das UN-Nothilfebüro OCHA teilt mit, 36 Frühchen, die auf Brutkästen und damit auf Strom angewiesen sind, seien derzeit in akuter Lebensgefahr. Laut israelischer Armee haben Soldaten am Mittwoch Treibstoff, Brutkästen und Babynahrung in das Krankenhaus gebracht.

Was berichten Augenzeugen?

Mitarbeiter des Al-Schifa-Krankenhauses berichten von anhaltenden Kämpfen rund um das Gebäude. Der Arzt Ahmed Muchallalati erzählte der Washington Post von stundenlangem Schusswechsel und Bombardements. Er habe israelische Panzer in Nähe des Klinikkomplexes gesehen. "Wir wissen nicht, was ihr Plan ist." Trotzdem wolle er versuchen, sich weiter um die Patienten zu kümmern.

Ein weiterer Augenzeuge sprach in britischen Sender BBC von sechs Panzern, dem Einsatz von Rauchbomben und mehr als hundert Soldaten auf dem Klinikgelände. Einige seien maskiert gewesen und hätten auf Arabisch gerufen: "Nicht bewegen, nicht bewegen!"

Der Nachrichtensender Al Jazeera berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, "Dutzende Soldaten" befänden sich in der Notaufnahme. Zudem seien Panzer in einem Hof des Gebäudekomplexes stationiert. Unabhängig überprüfen lassen sich die Augenzeugenberichte bisher nicht.

Die UN reagierte entsetzt auf den Vorstoß der israelischen Armee. Martin Griffiths, UN-Chefkoordinator für humanitäre Hilfe, schrieb auf X: "Krankenhäuser sind keine Schlachtfelder." Er betonte: "Der Schutz von Neugeborenen, Patienten, medizinischem Personal und aller Zivilisten muss alle anderen Erwägungen überragen."

Wie hat die Militäroperation die medizinische Versorgung im Gazastreifen beeinträchtigt?

Die Situation in den Kliniken hat sich in den vergangenen Tagen dramatisch verschlechtert. Nach Angaben der WHO haben 22 der 36 Krankenhäuser den Betrieb komplett eingestellt. Die verbleibenden 14 Kliniken hätten "kaum genug Mittel, um entscheidende und lebensrettende Operationen" vorzunehmen und Patienten zu versorgen, teilte die WHO mit.

Im nördlichen Gazastreifen ist die Lage besonders verheerend. Dort nimmt nach Angaben der UN nur noch eine Klinik Patienten auf. Das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt laufe derzeit noch in einer Art Notbetrieb, etwa 500 Menschen sollen dort untergebracht sein. "Alle anderen haben den Betrieb wegen eines Mangels an Strom, medizinischem Material, Sauerstoff, Essen und Wasser eingestellt", teilte das UN-Nothilfebüro OCHA mit. Und ist es ist völlig ungewiss, wie lange dieses Krankenhaus den Betrieb noch aufrechterhalten kann.

Mit Material der Agenturen

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