Korruption:Russische Staatsanwälte sollen organisierte Verbrecher gedeckt haben

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Jurij Tschaika (rechts), hier mit Präsident Wladimir Putin, ist Moskaus Generalstaatsanwalt und Vater eines sehr umtriebigen Sohnes. (Foto: imago)
  • Die Moskauer Stiftung zur Bekämpfung der Korruption hat möglicherweise einen der größten Justizskandale in der Geschichte des Landes aufgedeckt.
  • Generalstaatsanwälte sollen über Jahre gemeinsame Sache mit organisierten Verbrechern gemacht und ein Vermögen daran verdient haben. Es geht um Raub, Mord und Schutzgelderpressung.
  • Die russische Presse berichtet bis auf wenige Ausnahmen nicht darüber.

Von Julian Hans, Moskau

Die Geschichte, die das Zeug dazu hat, zum größten Justizskandal der neuen russischen Geschichte zu werden, beginnt mit einem rauschenden Fest auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki. Im Mai 2014 traf sich dort die Elite aus Russlands Politik, Wirtschaft und Showgeschäft. Schlagerkönig Filipp Kirkorow sang, und Kulturminister Wladimir Medinskij hielt eine Ansprache.

Sie waren aus Moskau ans Mittelmeer gereist, um das Fünf-Sterne-Luxushotel Pomegranate zu eröffnen. Mindestens 25 Millionen Euro hatten die Investoren in die Renovierung des Hauses gesteckt, berichtete die griechische Presse.

Über anderthalb Jahre haben die Aktivisten Beweise gesammelt

Am Dienstag dieser Woche hat die Moskauer Stiftung zur Bekämpfung der Korruption aufgedeckt, woher das Geld kam. Über anderthalb Jahre haben die Mitstreiter des Oppositionspolitikers und Anti-Korruptions-Aktivisten Alexej Nawalny Grundbücher, Firmenregister und Datenbanken in Russland, Griechenland und der Schweiz durchsucht.

Was sie zutage förderten, stellt selbst das in den Schatten, was bislang über Korruption und Bereicherung auf Kosten des russischen Staates bekannt war. Der Bericht zeichnet das Bild von einem Land, in dem die höchsten Vertreter der Justiz mit dem organisierten Verbrechen gemeinsame Sache machen.

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Den Recherchen zufolge waren es Olga Lopatina und Artjom Tschaika, die an jenem Abend das rote Band zur Eröffnung des Hotels durchtrennten. Tschaika, 39, ist der älteste Sohn des russischen Generalstaatsanwalts Jurij Tschaika. Lopatina, 52, die Frau von dessen Stellvertreter Gennadij Lopatin. Bei den griechischen Behörden sind die beiden als Inhaber der Firma registriert, der das luxuriöse Pomegranate gehört.

Offiziell sind der stellvertretende Generalstaatsanwalt Gennadij Lopatin und Olga Lopatina mittlerweile geschieden. In der letzten Vermögensdeklaration, die Lopatin als hoher Beamter jährlich abgeben muss, ist sie 2011 mit einem Einkommen von null Rubel aufgeführt. Außerdem gehören ihr eine Wohnung, ein Haus und einige Grundstücke. Doch die Frage, woher das viele Geld für das Rieseninvestment in Griechenland dann kommt, brachte die Korruptionsbekämpfer erst auf die Spur des eigentlichen Skandals.

Im russischen Register fanden sie die Firma Kuban Zucker, an der Lopatina mit 25 Prozent beteiligt ist. Weitere je 25 Prozent gehören: der Frau von Alexej Starowerow, der ebenfalls einen hohen Posten in der Generalstaatsanwaltschaft innehatte, sowie den Ehefrauen von Sergej Zapok und Sergej Zepowjas.

Letztere sind bekannt als Anführer der berüchtigten Zapok-Bande, die über Jahre das Gebiet Krasnodarsk terrorisierte. Erst nach einem grausamen Mord an zwölf Menschen, darunter vier Kinder im November 2010, wurden die beiden verurteilt. Zapok starb in der Haft. Das Büro von Kuban Zucker befindet sich im gleichen Gebäude, in dem das Stabquartier der Zapok-Bande war.

Hinweise auf Verbindungen der Generalstaatsanwaltschaft zum organisierten Verbrechen hatte es schon früher gegeben. Der Staatsanwalt Starowerow hatte 2014 seinen Posten aufgegeben, nachdem bekannt geworden war, dass sich in seinem Haus Mitglieder einer anderen Bande des organisierten Verbrechens versteckt hatten und ein Waffenlager entdeckt wurde. Artjom Tschaika, der Sohn des Generalstaatsanwalts, wurde aktenkundig, als in Moskau ein Netzwerk illegaler Spielkasinos aufflog.

Nun sei klar, wie es möglich war, dass eine Bande über Jahre einen großen Teil der Wirtschaft in der Region Krasnodar kontrollieren und die Bevölkerung terrorisieren konnte, ohne bestraft zu werden, sagt Alexej Nawalny in einem 45-minütigen Film, in dem die Stiftung zur Korruptionsbekämpfung die Ergebnisse der Recherchen zusammenfasst: "Ganz einfach: Die höchsten Beamten der Generalstaatsanwaltschaft haben sie geschützt."

Diese Geschichte sei über das hinausgegangen, was die Stiftung gewöhnlich bei ihren Recherchen antrifft: "Hier haben wir nicht nur Korruption, sondern auch Raub, Mord, Schutzgelderpressung. Diese System ist unbesiegbar, denn es wurde von denjenigen geschaffen, die diese Verbrechen eigentlich bestrafen sollen."

Der Bericht legt nahe, dass die Staatsanwälte ihre Macht in anderen Regionen des Landes für eigene wirtschaftliche Zwecke nutzte. Ein ganzes Firmenimperium habe Artjom Tschaika über die Jahre zusammengesammelt, darunter Baufirmen, Handel mit Salz, Sand und Ziegelsteinen und eine Schifffahrtsgesellschaft.

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Wer nicht spurt, kriegt eine Drohung von der Staatsanwaltschaft

Wenn die alten Besitzer die Unternehmen nicht hergeben wollten, half stets eine Drohung von der Staatsanwaltschaft, berichten Zeugen. Die Zeitungen Forbes und Wedomosti hatten schon in der Vergangenheit über die Unternehmensholding des ältesten Tschaika-Sohnes geschrieben, die Schätzungen zufolge einen Jahresumsatz von mehreren Hundert Millionen Dollar machen soll.

Den Gewinn bringt Artjom Tschaika außer in Griechenland offenbar auch in der Schweiz in Sicherheit. Nawalnys Mitstreiter fanden dort außer einer Villa für etwa drei Millionen Dollar auch eine Kanzlei, an der er beteiligt ist. Sein Partner, ein Schweizer Staatsbürger, soll einst einem anderen Mafia-Oberhaupt aus Russland beim Kauf einer Immobilie geholfen haben.

Unweit des Granatapfel-Hotels lassen dessen Besitzer Olga Lopatina und Artjom Tschaika den Recherchen zufolge jeweils eine private Villa bauen. Der Ort liegt in Sichtweite zum Berg Athos, der für die orthodoxen Christen heilig ist. Artjoms Vater, Jurij Tschaika, habe die Vorliebe, am Berg Athos "geistlich aufzutanken".

Die staatlich kontrollierten Medien in Russland schweigen über den Fall. Lediglich die Wirtschaftszeitung RBC und die oppositionelle Nowaja Gaseta berichteten am Donnerstag. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow gab sich ahnungslos. Man sei noch nicht dazu gekommen, den Bericht zu lesen, sagte er. "Im Moment hat die Vorbereitung auf die Rede an die Föderalversammlung für uns Vorrang."

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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