Siemens, Russland und die Korruption:Prachtbau aus Filz

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In der russischen Presse wurde das Gebäude am Schwarzen Meer als "Putins Palast" verspottet. Der Kreml bestreitet vehement, dass der Prachtbau für Putin gebaut wurde. (Foto: AFP)

Der ehemalige Zahnarzt Nikolaj S. stand gut zehn Jahre lang auf der Gehaltsliste von Siemens in Russland. Sein Job: medizinische Geräte an den Mann zu bringen - mutmaßlich zu stark überhöhten Preisen. Floss ein Teil des Geldes in einen Protzbau, genannt "Putins Palast"?

Von Christoph Giesen und Klaus Ott

Sie waren einst zu acht. Acht Freunde aus Sankt Petersburg, die Mitte der Neunzigerjahre beschlossen, ihre Datschen ein wenig nördlich der Stadt am Komsomolzensee zu errichten. Was einst als Ferienhaussiedlung begann, ist inzwischen die mächtigste Clique Russlands. Denn zu den acht Datschen-Freunden gehören Leute wie der Präsident Wladimir Putin höchstselbst und der Chef der russischen Eisenbahn Wladimir Jakunin.

Auch der ehemalige Zahnarzt Nikolaj S. ist einer der acht Gründer, und er ist inzwischen ein reicher Mann; sein Geld lagert wahrscheinlich auf Konten im Ausland, wie viel er verdient hat, das weiß niemand, und womit, auch das ist schwer zu sagen. Klar ist nur: S. hat einen dieser klassischen postsowjetischen Lebensläufe, er ist im Schatten der Macht reich geworden. S. gehört, nach allem was man weiß, zum erweiterten Freundeskreis Putins. Einer von S. Söhnen arbeitete für Putin und das zu einer Zeit, als dieser noch in der Petersburger Stadtverwaltung angestellt war. Das meiste Geld dürfte S. durch eine Beteiligung an der Rossija Bank verdient haben. Vor Putins Machtantritt war das ein kleines Institut in Sankt Petersburg, inzwischen ist die Bank eine der größeren des Landes. Soweit, so verbreitet in Russland.

Doch da ist noch etwas im Lebenslauf des Nikolaj S. Gut zehn Jahre stand er auf der Gehaltsliste von Siemens. Seine Aufgabe: der Vertrieb von medizinischen Geräten. Im Oktober 2008 schied er bei Siemens aus, der Konzern bestätigt das.

Für die Ausrüstung von fünf Kliniken flossen 120 Millionen Dollar

2006 und 2007 war Siemens in den größten Korruptionsskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte verwickelt, fast der ganze Vorstand wurde ausgewechselt, nur der heutige Konzernchef Joe Kaeser blieb, Staatsanwälte und interne Ermittler filzten das Unternehmen. Sie entdeckten geheime Konten und dubiose Berater; sie analysierten Zahlungen und Strukturen. Als 2007 mit Peter Löscher zum ersten Mal ein Vorstandschef von außen geholt wurde, hieß es, Siemens werde künftig nur noch saubere Deals machen.

Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters legen nun jedoch den Verdacht nahe, dass zumindest im Russland-Geschäft des Konzerns noch weit in die Löscher-Jahre hinein dubiose Geschäfte abgewickelt wurden. Im Zentrum stehen Nikolaj S. und eine Briefkastenfirma im nordenglischen Rochdale. Es geht um Lieferungen von Medizintechnik, bei denen der russische Staat letztlich um bis zu 100 Millionen Dollar geprellt worden sein könnte.

Siemens, Russland und Korruption - das hat eine lange Tradition. Als 2006 das weltweite System der schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen aufflog, da stießen die Ermittler auch auf viele Gesetzesverstöße in Russland. In einem Beschluss, mit dem das Münchner Landgericht im Oktober 2007 eine Geldbuße in Höhe von 201 Millionen Euro gegen Siemens verhängte, sind 19 General- und Finanzdirektoren sowie weitere Spitzenkräfte von öffentlichen Telekommunikationsnetzen in Russland als Geldempfänger aufgelistet, mit genauen Beträgen und Datum. Mal waren es 52 000 Euro, mal 102 400 Euro. Das Gericht notierte, das Geld sei gezahlt worden, um Staatsbedienstete zu "pflichtwidrigen Entscheidungen zugunsten der Siemens AG und zum Nachteil der internationalen Konkurrenz zu veranlassen". Aufträge wurden also gekauft.

Ein geständiger Siemens-Manager erzählte den Ermittlern, man habe flächendeckend bestochen, auch bei einem Geheimdienst und in einem Ministerium. Mal mit Bargeld, mal per Beratervertrag. Für solche Zwecke hätten beispielsweise bei einer Moskauer Bank 2,5 Millionen Euro bereitgestanden. Das war wohl nur eine schwarze Siemens-Kasse von vielen in Russland. So sei das alles schon lange praktiziert und mit den Vorgesetzten bis hinauf auf die zweite Führungsebene, den Bereichsvorständen, abgesprochen worden. Von dort habe es etwa zu fragwürdigen Beraterverträgen geheißen: "Machen wir's." Hauptsache, Siemens habe die Aufträge bekommen. "Machen wir's" - galt das auch für die Medizinsparte und deren Lieferungen nach Russland?

Es war im Jahr 2005, Wladimir Putin hatte gerade seine zweite Amtszeit angetreten, da setzte sich der russische Präsident für die Volksgesundheit ein. Im ganzen Land sollten neue Krankenhäuser gebaut werden, versprach Putin. Eine Milliarde Dollar für 15 High-Tech-Kliniken - doch das misslang gründlich. Für die Ausrüstung in den Kliniken wie etwa Computertomografen oder MRT-Scanner zahlte der russische Staat oft doppelt so viel wie eigentlich üblich für Geräte von Siemens. Abgewickelt wurden die Deals über Petromed, eine Firma in Sankt Peterburg, die einem anderen Großaktionär der Rossija-Bank gehörte. Dieser hatte Petromed in den frühen Neunzigerjahren gegründet. Einer der Kapitalgeber damals war eine Abteilung der Stadt Sankt Petersburg - geleitet seinerzeit von Wladimir Putin.

Wie viel der russische Staat an Petromed gezahlt hat, das gibt das Unternehmen nicht preis, es dürften aber etwa 200 Millionen Dollar gewesen sein. Dafür gibt es recht deutliche Anhaltspunkte: Russische Gerichtsakten, die Reuters vorliegen, belegen beispielsweise, dass Petromed für die Ausrüstung von fünf Krankenhäusern 120 Millionen Dollar bekam. Insgesamt stattete Petromed acht Kliniken aus. Aufschluss geben auch Daten des russischen Zolls. Demnach bezahlte Petromed 195 Millionen Dollar an eine britische Firma namens Greathill Ltd. mit Sitz in Rochdale. Der Deal funktionierte dabei so: Der russische Staat überwies an Petromed. Greathill wiederum kaufte Geräte von Siemens und anderen Lieferanten. Im Gegenzug übernahm Petromed die Scanner von Greathill zu deutlich höheren Preisen. Zwischen September 2007 und August 2008 erwarb Greathill beispielsweise mindestens vier Siemens-Computertomografen vom Typ Somatom Sensation 64 und verkaufte die Maschinen an Petromed weiter. Gezahlt wurden mal 1,9 Millionen, mal zwei Millionen Euro pro Scanner. Anderswo bekam man diese Geräte damals für Beträge zwischen einer Million und 1,2 Millionen Euro, je nach Ausstattung.

Scheindirektoren und eine Briefkastenfirma

Noch deutlicher fiel der Aufschlag bei Scannern vom Typ Emotion 6 aus. 2010, als Dmitrij Medwedjew Putin bereits kurzzeitig als Präsidenten abgelöst hatte, wurden einige Medizindeals innerhalb Russlands überprüft. In Uljanowsk an der Wolga belangte die Justiz zum Beispiel einen lokalen Politiker, zwei Geschäftsleute und einen Oberarzt für den Kauf eines Computertomografen. Der Politiker wurde zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, die Geschäftsleute bekamen sieben Jahre, der Arzt erhielt eine Bewährungsstrafe von drei Jahren. Für den Scanner waren damals 44 Millionen Rubel bezahlt worden. Das Gericht stellte damals im Urteil fest, dass der Preis "bewusst aufgeblasen" worden sei. Just so einen Scanner verkaufte Greathill auch an Petromed, allerdings nicht für die überteuerten 44 Millionen Rubel, sondern sogar für 71 Millionen Rubel.

Die Differenzen dürfte Greathill eingesteckt haben. Doch wer verbirgt sich hinter dieser Firma? Die Geschäftsadresse gehört einer britischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die offiziellen Geschäftsführer dürften sogenannte Scheindirektoren sein, die sich für ein paar Pfund im Monat ins Handelsregister haben eintragen lassen, die Eigentümer bleiben indes geheim. Es liegen jedoch Dokumente vor, die belegen, dass die wahren Eigner S. und sein Kumpel, der Petromed-Chef, sind, Kopien der Dokumente hat Reuters ins Internet gestellt. Demnach halten beide Männer über eine Schweizer Gesellschaft die Anteile an Greathill. Ein Mann, der bei Siemens unter Vertrag steht, schaltete sich selbst als Mittelsmann ein und verdiente dabei offenbar Millionen. Warum ließ man sich bei Siemens auf dieses dubiose Konstrukt ein und lieferte nach Russland, während das Geld von einer Briefkastenfirma kam?

Auf Nachfragen gibt sich der Konzern wortkarg. Ein Sprecher sagt lediglich: "Die Firma Greathill war ein Geschäftspartner von Siemens Healthcare bis 2010." Dem Unternehmen lägen keine Hinweise vor, dass ein Siemens-Mitarbeiter entweder an den Firmen Greathill oder Petromed beteiligt war. Nikolaj S. meldet sich trotz mehrmaliger Kontaktversuche nicht zurück. Und der Petromed-Chef? Auf SZ-Anfrage ist er nicht zu erreichen. In einer schriftlichen Stellungnahme teilte er Reuters jedoch mit, dass bei den Geschäften alles in Ordnung gewesen sei. Demnach habe Petromed das Medizin-Equipment von Siemens zu einem kostengünstigen Preis erhalten, außerdem seien die Preise von Regierungsexperten bestätigt worden.

Von den gut 200 Millionen Dollar, die der russische Staat über Petromed an Greathill gezahlt hat, sollen laut Reuters-Dokumenten 84 Millionen Dollar auf Schweizer Bankkonten gewandert sein. Die Aufzeichnungen zeigen, dass mindestens 48 Millionen Dollar an ein Unternehmen flossen, das dabei half, eine Luxusimmobilie in der Nähe des Schwarzen Meeres zu bauen. In der russischen Presse wurde das Gebäude als "Putins Palast" verspottet. Der Bau soll eine Milliarde Dollar gekostet haben. Waren die Millionen aus dem Siemens-Deal womöglich ein Kick-back? Ein Dankeschön an den Datschen-Nachbarn von S.? Schon als die ersten Gerüchte 2011 auftauchten, dementierte der Kreml vehement. Die Immobilie am Schwarzen Meer gehöre nicht dem russischen Staatschef.

© SZ vom 22.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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