Konflikte:Türkei im Kampf gegen IS: Szenarien und Wahrscheinlichkeiten

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Ankara (dpa) - Der internationale Kampf gegen die Terrorarmee Islamischer Staat. Die Türkei: Schlüsselland und Nato-Partner, mit dem IS an ihrer Grenze. Trotzdem agiert Ankara bislang zurückhaltend. Wie kann es weitergehen? Szenarien:

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Ankara (dpa) - Der internationale Kampf gegen die Terrorarmee Islamischer Staat. Die Türkei: Schlüsselland und Nato-Partner, mit dem IS an ihrer Grenze. Trotzdem agiert Ankara bislang zurückhaltend. Wie kann es weitergehen? Szenarien:

- Der IS erobert Kobane - und die Türkei sieht untätig zu:

Angesichts des IS-Vormarschs NICHT UNWAHRSCHEINLICH. Die Türkei hat Panzer an der Grenze bei Kobane aufgefahren, die Regierung hat ein Parlamentsmandat für einen Einmarsch. Sie hat aber klargemacht, dass sie im Alleingang keine potenziell verlustreiche Bodenoffensive gegen den IS beginnen will - auch wenn die Amerikaner das wohl gerne sähen. Ein ungenannter hochrangiger US-Regierungsvertreter kritisierte die Zurückhaltung der Türken in der „New York Times“: „So handelt kein Nato-Verbündeter, während einen Steinwurf von der Grenze entfernt die Hölle ausbricht.“

- Die Türkei beginnt trotzdem eine Bodenoffensive in Kobane:

Nicht nur aus oben genannten Gründen UNWAHRSCHEINLICH - auch die Kurden in Syrien und in der Türkei wollen keine Bodenoffensive. Sie verdächtigen die Regierung in Ankara, ihre vor dem IS-Vormarsch weitgehend autonome Enklave Kobane besetzen zu wollen. Die Lage könnte sich ändern, sollte sich das Anti-IS-Bündnis zu einem internationalen Militäreinsatz mit der Türkei auf dem Boden durchringen - und die türkische Forderung nach einer Schutz- und Flugverbotszone in Syrien erfüllen. Allerdings wird die Errichtung solcher Zonen in der Nato nicht diskutiert. Und: Kein Land hat bislang erkennen lassen, Bodentruppen nach Syrien schicken zu wollen.

- Die Türkei unterstützt die kurdischen Kämpfer anderweitig:

Die syrischen Kurden fordern Waffen oder einen Korridor, damit ihre Volksschutzeinheiten von Enklaven östlich und westlich Kobanes in die Stadt vordringen können, die nur von der türkischen Grenze aus zugänglich ist. Beides ist UNWAHRSCHEINLICH, weil die Volksschutzeinheiten mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK verbündet sind. Und die steht in der Türkei, in den USA und in europäischen Ländern auf der Liste der Terrororganisationen. Die Türken müssten befürchten, dass die Waffen in die Hände der PKK gelangen - die Ankara eigentlich im Rahmen eines Friedensprozesses entwaffnen will. WAHRSCHEINLICH ist, dass sich Ankara auf humanitäre Hilfe beschränkt.

- Mit Kobane stirbt auch der Friedensprozess mit der PKK:

NICHT UNWAHRSCHEINLICH, das haben auch die Proteste in der Türkei mit mehr als 20 Toten in den vergangenen Tagen gezeigt. Der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan hat gedroht, dass er den Friedensprozess mit der Regierung als gescheitert ansieht, sollte der IS an den Kurden in Kobane ein Massaker verüben. Viele Kurden verdächtigen die türkische Regierung, mit dem IS zu sympathisieren oder ihn gar zu unterstützen. Die islamisch-konservative Regierung weist das zurück, aber sie genießt bei den Kurden kaum noch Glaubwürdigkeit.

- Der IS erobert Kobane - und greift dann die Türkei an:

Zumindest auf kurze Sicht UNWAHRSCHEINLICH. Sollte der IS Kobane erobern, dürften auf dem Schlachtplan der Dschihadisten zunächst die beiden anderen syrisch-kurdischen Enklaven an der türkischen Grenze stehen: Im Osten um die Stadt Kamischli und im Westen um den Ort Afrin herum. Gegen die türkische Armee - die zweitgrößte in der Nato - hätten die Dschihadisten zudem keine Chance. Und spätestens bei einem Angriff auf türkisches Staatsgebiet würde Ankara jede Zurückhaltung gegenüber IS aufgeben. Wahrscheinlicher ist, dass sich der IS darauf verlegen könnte, Anschläge in der Türkei zu verüben.

- Der IS stürmt das Mausoleum von Süleyman Shah:

Ankara hält einen Angriff auf das von einigen Dutzend türkischen Soldaten bewachte Grabmal in Syrien für NICHT AUSGESCHLOSSEN. Der IS hatte die Türkei bereits im März dazu aufgefordert, ihre Soldaten abzuziehen. Die Regierung in Ankara betrachtet das Gelände als ihr Hoheitsgebiet und hat gedroht, jede Aggression als einen Angriff auf türkisches Territorium zu werten. Nach Berichten türkischer Medien hält die Armee Pläne vor, um im Angriffsfall massiv mit Kampfflugzeugen, Hubschraubern und Spezialkräften zu intervenieren.

- Die Türkei fordert die Nato zum Ausrufen des Bündnisfalles auf:

Derzeit UNWAHRSCHEINLICH. Einen Angriff auf das Mausoleum würde die Regierung zwar auch mit einem Angriff auf Nato-Gebiet gleichsetzen, die Armee wäre aber kaum auf Hilfe angewiesen. Ob die Nato die Einschätzung teilt, dass es sich bei dem Gelände in Syrien um Hoheitsgebiet eines Bündnispartners handelt, ist unklar. Anders wäre das bei einem IS-Angriff auf die Türkei selber. Dann könnte die Türkei den Nato-Rat auffordern, den Bündnisfall auszurufen. Sollte der Rat zustimmen, wären Nato-Staaten zu Beistand verpflichtet.

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