Konflikte:Ein noch schwierigerer Partner - Erhebliche Sorgen in Berlin

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Berlin (dpa) - Flüchtlingskrise, Krieg in Syrien, Völkermord-Streit: Die Türkei war für viele in Deutschland bislang schon ein Partner, wie man sich ihn schwieriger kaum vorstellen konnte. Falsch gedacht.

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Berlin (dpa) - Flüchtlingskrise, Krieg in Syrien, Völkermord-Streit: Die Türkei war für viele in Deutschland bislang schon ein Partner, wie man sich ihn schwieriger kaum vorstellen konnte. Falsch gedacht. 

Der Putschversuch von Teilen des Militärs gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die Dinge jetzt nochmals um einiges komplizierter gemacht. Die Sorge, dass der Nato-Partner künftig noch autoritärer regiert wird - und damit vielleicht noch weniger berechenbar sein könnte -, ist in Berlin erheblich.

Dementsprechend wird seit Freitagabend, als die ersten Meldungen aus Ankara und Istanbul die Runde machten, innerhalb der Bundesregierung viel telefoniert. Wieder einmal Krisenmanagement, anfangs über viele tausend Kilometer hinweg: Kanzlerin Angela Merkel erfährt die Nachrichten bei einem Europa-Asien-Gipfel in der Mongolei, ihr Vize Sigmar Gabriel im Urlaub auf Amrum, Außenminister Frank-Walter Steinmeier zuhause in Berlin.

Mit einem Putschversuch der Armee in der Türkei hat keiner von ihnen gerechnet. Die Welt, so hört man es von den Topleuten in Berlin schon seit längerer Zeit, ist eigentlich schon genug aus den Fugen. Allein die letzten drei Wochen: Brexit, neue Sorgen um den Euro, wieder ein Anschlag mit vielen Dutzend Toten in Frankreich. Noch mehr muss nun wirklich nicht sein. Aber jetzt eben: Putschversuch in der Türkei. 

Gleich nach den ersten Telefonaten geht die Bundesregierung auf Distanz zu den Generälen. In einer ersten offiziellen Erklärung, die mit allen abgestimmt ist, heißt es kurz nach 01.00 Uhr nachts: „Die demokratische Ordnung muss respektiert werden.“ Zugleich werden die Bundesbürger in Ankara und Istanbul zu „äußerster Vorsicht“ ermahnt. Geschätzt wird, dass sich jetzt, in der Hauptreisezeit, deutlich mehr als 100 000 Deutsche in der Türkei aufhalten. Hinweise, dass bei dem Putsch auch Bundesbürger zu Schaden kamen, gibt es aber nicht.

Am Morgen - Merkel ist bereits auf dem Heimflug - wird Steinmeier dann deutlicher. „Alle Versuche, die demokratische Grundordnung der Türkei mit Gewalt zu verändern, verurteile ich auf das Schärfste“, sagt der Außenminister. Zudem ruft er alle Beteiligten in der Türkei - also auch Erdogan - dazu auf, die demokratischen Institutionen und die Verfassung zu achten. Grünen-Chef Cem Özdemir meint zusammenfassend: „Es gibt keine Rechtfertigung für einen Militärputsch. Aber Erdogan ist deshalb noch lange kein Demokrat.“

Viele in Berlin erwarten nun, dass die Türkei künftig noch autoritärer regiert wird. Wahrscheinlich auch, dass Erdogan mit seiner islamisch-konservativen Partei AKP versuchen wird, die Armee von allen Offizieren zu säubern, die auch nur im Verdacht stehen, kritisch zu sein. Das wäre dann genau das Gegenteil von einem Kurs der Versöhnung, auf den in Deutschland trotz allem noch einige gehofft hatten. Die Türkei würde vermutlich noch tiefer gespalten. Noch mehr Anschläge könnten die Folge sein. 

Befürchtet wird auch, dass der Konflikt auf deutschen Boden getragen werden könnte. In Deutschland leben mehr als drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, auch hier sind die Lager heftig zerstritten. Mehrere tausend Türken ziehen in der Nacht vor die Botschaft am Berliner Tiergarten sowie vor die Konsulate in anderen deutschen Städten. In Berlin brachten viele türkische Taxifahrer die Landesflagge am Auto an. Sicherheitsexperten haben schon länger die Sorge, dass es wegen des innertürkischen Konflikts auch in Deutschland einen Anschlag geben könnte.

Außerdem stellt sich die Frage, was mit den 240 deutschen Soldaten passiert, die auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik im Einsatz sind. Die Bundeswehr beteiligt sich von dort aus mit Tornado-Kampfflugzeugen und einem Tankflugzeug am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Vorsorglich wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Im Verteidigungsministerium heißt es aber: „Alle deutschen Soldaten in Incirlik sind wohlauf.“ Wegen des Besuchsverbots für Bundestags-Abgeordnete in Incirlik hatten einige schon vor dem Putschversuch mit dem Abzug der Bundeswehr gedroht. Solche Töne könnten jetzt noch lauter werden.

Und was bedeutet der gescheiterte Putsch für den Flüchtlingsdeal mit der Türkei? Von deutscher Seite heißt es dazu, es gebe keinen Anlass, die Abmachungen in Frage zu stellen. Schließlich seien die Leute, mit denen man die Vereinbarungen getroffen habe, ja weiterhin im Amt. Klar ist aber auch, dass man nun möglicherweise noch mehr von den Launen Erdogans abhängig sein wird. Noch mehr als ohnehin.

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