Koalitionsverhandlungen:Mehr Geld, mehr Gerangel

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Angela Merkel und Sigmar Gabriel auf einem Archivbild aus dem Jahr 2007. (Foto: dpa)

Acht Milliarden Euro im kommenden Jahr, bis zu fünfzig Milliarden über die ganze Legislaturperiode: Die neue Bundesregierung wird wesentlich mehr Steuern als erwartet verteilen können. Das muss das Regieren doch leichter machen. Aber die Aufgaben, die auf eine große Koalition aus Union und SPD warten, sind gigantisch.

Von Michael Bauchmüller und Stefan Braun, Berlin

Selten wird eine neue Regierung mit so viel Glück ins erste Jahr starten wie die kommende. Wenn stimmt, was die Wirtschaftsforschungsinstitute vorhersagen, wird die nächste Koalition, wohl aus Union und SPD, in den nächsten Jahren deutlich mehr Geld haben als angenommen. Allein 2014 sollen es dank guter Konjunktur acht Milliarden Euro mehr sein an Steuereinnahmen. Nimmt man die gesamte Legislaturperiode zusammen, könnte sich das Plus gar auf knapp fünfzig Milliarden Euro addieren. Das muss das Regieren doch leichter machen. Oder?

Gemessen an den Aufgaben ist es nicht mehr als ein glücklicher Anfang. Wenn die neue Regierung ihre Verantwortung ernst nimmt, stehen der guten Ausgangslage gigantische Aufgaben gegenüber, die viel Geld verschlingen werden. Das beginnt mit der übergeordneten Mega-Aufgabe, die Finanzen von Bund, Ländern und Kommunen auf solidere Füße zu stellen.

Stichwort: Schuldenbremse. Sie setzt den Bund und noch mehr die Länder unter enormen Druck. Spätestens 2019 müssen die Länder sie voll einhalten. Vielen klammen Gemeinden geht es nicht besser. Deshalb ist auch eine Gemeindefinanzreform vonnöten.

Die meisten Bundesländer müssen dringend umsteuern, wenn sie und die Kommunen nicht buchstäblich zahlungsunfähig werden wollen. Also unfähig, Schulen, Bäder, Bibliotheken oder auch viele Landeseinrichtungen weiterhin betreiben zu können. Zumal den meisten Ländern auch die Versorgungsansprüche ihrer Beamten über den Kopf wachsen. Das bedeutet: Die neue Regierung und die Bundesländer stehen in den nächsten vier Jahren vor einer gigantischen Aufgabe und einem gewaltigen Kampf ums Geld.

Was dürfen die Reformen kosten?

Um Milliarden, was sonst, geht es auch bei der Rente. Gegen die Altersarmut wollen Union und SPD gleichermaßen etwas tun. Die Union hat eine höhere Mütterrente fest versprochen, und die Sozialdemokraten wollen eine höhere Erwerbsminderungsrente. Streit gibt es wenig - nur fragt sich, wie das finanziert werden und ob das Geld aus der Rentenversicherung oder aus Steuermitteln kommen soll.

Ganz ähnlich bei der Pflegereform. Blaupausen dafür gibt es, etwa für den künftigen Umgang mit Demenzkranken. Was aber darf sie kosten? Reichlich Geld gibt es derzeit vor allem im Gesundheitsfonds, der auf elf Milliarden Reserven sitzt. Grundlegende Reformen im Gesundheitssystem stehen erst mal nicht an - am ehesten noch wegen der klammen Kassen der Krankenhäuser.

Eine echte Großaufgabe wird eine funktionierende Infrastruktur sein. Hier sind sich Union und SPD einig. Zuletzt gab es genügend Warnungen vor maroden Brücken und Straßen, Investitionsbedarf: mehr als sieben Milliarden Euro. Das klingt freilich mehr nach Reparatur als Neubau. 2015 muss die Koalition auch einen neuen Bundesverkehrsplan vorlegen, mit allen großen Bauvorhaben der nächsten Jahre. Ideen dafür haben die Länder zuhauf.

Weil sich aber jeder Euro nur einmal ausgeben lässt, kommen alternative Finanzierungsmodelle wieder ins Spiel. Etwa die Pkw-Vignette des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer. Alternativ hatte zuletzt eine Bund-Länder-Kommission vorgeschlagen, die Lkw-Maut auszuweiten.

Lobbys spielen auch bei der Energiewende eine große Rolle. Trotzdem muss sich eine neue Regierung dieses Themas sofort annehmen. Auch wegen der Kosten. Vorige Woche war bekannt geworden, dass die Förderung erneuerbarer Energien 2014 mehr als 19 Milliarden Euro kosten wird. Tendenz steigend. Um das in den Griff zu bekommen, bräuchte es eine grundlegende Reform des Fördersystems. Auch Vergünstigungen für die Industrie müssten auf den Prüfstand.

Die Hauptaufgabe wird darin liegen, die Gräben zuzuschütten, die quer durch die künftigen Regierungsparteien verlaufen. In der SPD kämpft NRW-Landeschefin Hannelore Kraft vor allem für die Interessen großer Stromkonzerne und Industriebetriebe, während sich ihr Amtskollege und Parteifreund in Niedersachsen, Stephan Weil, für die Windenergie stark macht. Das wird viel Arbeit - bei der Koordination, beim Netzausbau, beim Bau der nötigen Reservekraftwerke.

Herausforderungen Mindestlohn und Fachkräftemangel

Stichwort Arbeit: Sollte ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro kommen, was inzwischen fast als erste Verabredung der großen Koalition bezeichnet werden könnte, dann gibt es zwei Prognosen für etwaige Folgen. Kritiker behaupten, dass Hunderttausende Jobs verloren gehen könnten. Das dürfte dann zu einer Belastung der Sozialkassen führen - wegen geringerer Einnahmen und höherer Ausgaben. Befürworter führen dagegen ins Feld, dass der Staat bis zu vier Milliarden Euro an Aufstocker-Zahlungen einsparen könnte.

Die größte Herausforderung am Arbeitsmarkt liegt deshalb woanders. Schon heute lässt sich studieren, was passiert, wenn immer mehr Fachkräfte fehlen. Deshalb werden Integration und Zuwanderung ins Zentrum rücken. Integration der jungen Menschen ausländischer Herkunft, die es bislang nicht zu einer guten Ausbildung schaffen. Und Zuwanderung von Fachkräften, damit die Wirtschaft nicht alsbald lahmt, weil ihr die Mitarbeiter ausgehen.

Kompetenz-Streit um Bildung

Damit landet man beim Thema Bildung. In den letzten Jahren sind viele Milliarden Euro in die Forschung geflossen. Die Hauptbaustelle bilden nun die Schulen, die frühkindliche Bildung und der Ausbau der Ganztagsschulen. Für die neue Regierung bedeutet das zweierlei: Sie muss dafür kämpfen, den Kompetenz-Streit bei der Bildung endlich aufzubrechen. Und sie kann danach endlich versuchen, auch mit Bundesmitteln die Schulen besser auszustatten, mehr Ganztagsschulen zu finanzieren und die bis heute ärgerlichen Probleme bei Umzügen endlich zu beheben. Das wird Geld und politische Kraft verlangen.

Spannung versprechen auch Europa und die Außenpolitik. Europa, weil die Euro-Krise mehr aufgeschoben als behoben ist. Wenn dort noch was schiefläuft, werden alle anderen Finanzfragen wieder Makulatur sein werden. Und die Außenpolitik, weil es sehr spannend sein wird, ob ein neuer Außenminister oder eine neue Ministerin wirklich eine Idee für Deutschlands Rolle in der Welt entwerfen kann - und von der Kanzlerin auch den Spielraum bekommt, eine solche mit Leben zu füllen.

© SZ vom 21.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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