Koalitionsoptionen:Gleichgewicht des Schreckens

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SPD-Chef Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: dpa)

Der Verdruss über eine mögliche große Koalition in Berlin entwickelt beachtliche Zentrifugalkräfte, bevor sie überhaupt entstanden ist. Die SPD öffnet sich mit Rot-Grün-Rot eine neue Option für die Zukunft, die CDU blickt gespannt auf Schwarz-Grün in Hessen. Das Erstaunliche an dieser Konstellation ist aber die Situation der Grünen.

Ein Kommentar von Nico Fried, Berlin

Vor einer Woche hat sich die SPD geschworen, niemals mehr eine Koalition mit der Linken auszuschließen. Man sprach vom Ende der "Ausschließeritis". Die Neigung, andere Parteien von vorneherein zu verschmähen, gab es schon länger, aber als Krankheit hat sie im November 2008 erstmals der hessische Grüne Tarek Al-Wazir diagnostiziert und benannt.

Al-Wazir wiederum hat seine Partei nun in Wiesbaden an die Schwelle einer Koalition mit der CDU geführt, womit er nicht nur als Entdecker der "Ausschließeritis" in die Geschichte eingehen wird, sondern - zumindest was die Grünen betrifft - auch als derjenige, der sie ausgerottet hat.

Die Verhandlungen über eine große Koalition in Berlin und der Verdruss, der schon vor ihrem möglichen Zustandekommen entstanden ist, entwickelt beachtliche Zentrifugalkräfte. Die SPD öffnet sich mit Rot-Grün-Rot eine neue, noch immer sehr theoretische Option für die Zukunft. Nur jene, die in einer zweiten Koalition mit Kanzlerin Angela Merkel den Untergang der SPD heraufdräuen sehen, rufen jetzt schon nach dem linken Bündnis und singen das Lied der Bremer Stadtmusikanten: Was Besseres als den Tod findest du überall.

Dabei wäre eine rot-grün-rote Regierung mit wenigen Stimmen Mehrheit nicht nur ein Wahlbetrug der SPD, sondern auch der schnellere Weg ins Verderben. Ein politischer Suizid mit Ansage.

Die CDU wiederum blickt gespannt auf die hessische Versuchsanordnung. Den Prototypen, der daraus entstehen könnte, brächte sie gerne zur Serienreife - und zwar nicht nur für Land-, sondern auch für Bundesstraßen. Somit haben Union und SPD schon vor Beginn einer möglichen großen Koalition eine Art Gleichgewicht des Schreckens wie zwischen den Supermächten im Kalten Krieg hergestellt.

Komfortable Situation für die Grünen

Das Erstaunliche an dieser Konstellation ist die komfortable Situation der Grünen. Eben noch vom Wähler abgewatscht, scheinen ihnen nun mit ihren kärglichen acht Prozent plötzlich alle Türen in ein Schlaraffenland offen zu stehen, in dem die zwei größten Flüsse Zuneigung und Gemeinsamkeit heißen und die Regierungsbeteiligungen an den Bäumen wachsen.

Doch gerade die Anbahnung einer schwarz-grünen Koalition in Hessen macht bislang sehr deutlich, was die Landes- von den Bundesgrünen unterscheidet. In Hessen steht in Tarek Al-Wazir ein Pragmatiker mit dem Willen zur Macht an der Spitze. Noch dazu einer, der fähig ist, seine Partei zu führen. In Berlin haben die Grünen derzeit niemanden, der den Weg in ein solches Bündnis weisen könnte. Die Signale der Spitzenleute dazu, was geschehen könnte, falls die große Koalition doch noch scheitert, sind diffus. Die Grünen wissen selbst nicht, was sie wollen sollen.

Wo aber an der Spitze die Klarheit fehlt, setzt sich die Unsicherheit nach unten fort. Das sollten all jene nicht übersehen, die mögliche Koalitionen von 2017 am liebsten schon jetzt verwirklicht sähen. Die Grünen im Bund sind im gegenwärtigen Zustand das Gegenteil der hessischen Grünen: nicht regierungsfähig.

© SZ vom 25.11.2013/ter - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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