Klimapolitik:Auch den Grünen droht ein Tag X

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Klimaaktivisten protestieren an einem Parteibüro der Grünen gegen die Räumung Lützeraths. (Foto: Fabian Steffens/Imago/Eibner)

Das Braunkohledorf Lützerath steht vor der Räumung. Klimaaktivisten kritisieren die Grünen dafür scharf. Die Öko-Partei will nun ihren Klimakurs verschärfen.

Von Markus Balser, Berlin

Sie ahnen, dass der Untergang näher rückt. Weichen aber wollen sie nicht. Seit Dienstag gilt im Weiler Lützerath schon der Tag X. Klimaaktivisten von "Fridays for Future" haben einen bundesweiten Aufruf gestartet, das längst verlassene Dorf zu besetzen. Die Bagger des Braunkohletagebaus sind bereits in Sichtweite. Rund 200 junge Klimaschützer sollen sich in Hofanlagen und Baumhäusern verschanzt haben, um die Zerstörung des Dorfes doch noch zu verhindern. "Lützi wird verteidigt", kündigt "Fridays for Future" an.

Auch den Grünen droht damit eine Art Tag X. Jahrelang kämpfte die Partei mit den Aktivisten um den Erhalt der vom Braunkohletagebau Garzweiler II bedrohten Dörfer. Jetzt aber wird die Polizei zur Räumung anrücken, um das durchzusetzen, was der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine Parteifreundin und nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Herbst mit dem Energiekonzern RWE ausgehandelt haben: Das Aus des Kohletagebaus im Rheinischen Revier wird zwar auf 2030 vorgezogen, fünf Dörfer werden doch nicht mit Baggern abgetragen. Lützerath aber muss noch dran glauben, damit der Strom in der Krise fließt.

Lützerath
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Klimaaktivisten halten das Dorf besetzt, um den weiteren Braunkohleabbau zu verhindern. Aachens Polizeipräsident spricht von "einem schwierigen, herausfordernden Einsatz mit erheblichen Risiken".

Es war ein Kompromiss von vielen im vergangenen Jahr. Laufzeitverlängerung, mehr Kohlestrom, neue Flüssigerdgas-Terminals: Gleich reihenweise haben die Grünen Entscheidungen gegen die eigenen Prinzipien getroffen, um die Folgen des Ukraine-Kriegs abzumildern. Unter Aktivisten wächst vor allem im Fall Lützerath die Wut. Luisa Neubauer, eine der Hauptorganisatorinnen von "Fridays for Future", machte ihrem Ärger gerade via Twitter Luft. "Die Grünen machen damit einen großen Fehler", warnte sie und warf der Partei eine "kalkulierte Unterwanderung der Pariser Klimaziele" vor. Für die Energiesicherheit in der Krise brauche es laut Gutachten die Kohle unter Lützerath gar nicht.

Entfremden sich die Klimagegner noch weiter von den Grünen?

Das sieht man in der Partei ganz anders. Dennoch wächst intern die Sorge, die Klimabewegung könnte sich noch stärker von den Grünen entfremden. Mit Kompromissen könne man zwar regieren, sagt ein führender Grüner. Nur die Wählerherzen gewinne man so nicht.

Offen spricht der frühere Fraktionschef Anton Hofreiter aus, was inzwischen viele in der eigenen Partei und Fraktion denken. "Ich würde mir wünschen, dass wir um wichtige Themen noch härter kämpfen", sagt Hofreiter der Süddeutschen Zeitung. "In einer Koalition mit drei unterschiedlichen Partnern hat man es nicht leicht. Kompromisse dürfen aber nicht auf Kosten unserer Lebensgrundlagen gehen. Beim Schutz unseres Klimas und der Artenvielfalt läuft uns schlicht die Zeit davon."

Die Parteispitze will schon zu Wochenbeginn ein Zeichen setzen. Am Montag und Dienstag berät der sechsköpfige Parteivorstand um die Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour in Berlin bei einer Klausur darüber, wie die Partei stärker mit den eigenen Themen punkten kann. Die Koalition habe sich zwar als handlungsfähiger inmitten der Krise erwiesen als viele Vorgängerregierungen in ruhigeren Zeiten, sagt Emily Büning, Politische Bundesgeschäftsführerin der Partei, der SZ. Aber sie habe sich schon "ein wenig mehr Ergebnisorientierung und Sachlichkeit insbesondere von einem der Koalitionspartner gewünscht". Etwa "mehr Elan etwa beim Erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor".

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Dafür wollen in der Koalition nun die Grünen sorgen und das zu Wochenbeginn bei dem Treffen beschließen. 2023 müsse zum "Klimaschutzjahr" werden, fordert Büning. "Es ist an der Zeit, das Land auch langfristig krisenfester und nachhaltiger aufzustellen."

Doch offen ist, ob das gelingt. Denn während die Ökopartei den Kohleausstieg auch in Ostdeutschland beschleunigen und die Mobilität schneller umbauen will, hofft der Koalitionspartner FDP auf ganz andere Erfolge. Aufgeweichte Klimaziele für den Verkehrssektor etwa. Oder auf eine erneute Verlängerung der deutschen Atomlaufzeiten. Bis zum endgültigen Abschalten der Meiler Mitte April dürfte sich der Kampf um die Atomkraft in der Koalition verschärfen.

Geschadet haben die Streitereien den Grünen bislang nicht. Mit zuletzt 19 Prozentpunkten steht die Partei in der aktuellsten Umfrage, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, deutlich besser da als bei der Bundestagswahl im September 2021. Die Grünen liegen damit sogar knapp vor der SPD. Die FDP dagegen hat deutlich an Zuspruch verloren. Verlassen aber will man sich in der Partei nicht darauf, dass die Wähler derart geduldig bleiben.

Nach der Parteiklausur am Montag und Dienstag wird sich am Donnerstag auch die Führung der Bundestagsfraktion für einen ganzen Nachmittag treffen, um den eigenen Kurs für dieses Jahr abzustecken. Auch in der Fraktion wächst der Wunsch, 2023 kampflustiger zu werden und die Koalitionspartner auch mal härter anzugehen. Die Fraktionsspitze deutet schon mal an, wo es zur Sache gehen könnte. "Bei der Energiewende geht es schnell voran, doch besonders im Verkehrssektor gibt es noch zu viele Blockaden, die endlich beseitigt werden müssen", sagt Fraktionschefin Katharina Dröge.

In Lützerath bereiten die Aktivisten derweil die nächste Stufe des Protests vor: eine Großdemo am 14. Januar mit Tausenden Teilnehmern. Das kleine Örtchen ganz im Westen des Landes, sagen die Organisatoren voraus, werde dann wohl zum neuen "Hotspot der Klimabewegung". Mit einem Besuch von grünem Spitzenpersonal rechnen sie in der Klimabewegung diesmal jedoch nicht.

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