Kirchentagspräsident:"Ich hatte Zeit"

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Mit 68 Jahren übernahm der langjährige SZ-Redakteur Hans Leyendecker im Mai 2017 die Präsidentschaft des 37. Evangelischen Kirchentages in Dortmund. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Früher war er Reporter, gründete das Investigativressort der SZ und deckte Skandale auf. Dieses Jahr leitet Hans Leyendecker den Kirchentag in Dortmund. Dass die Evangelische Kirche ihn ausgewählt hat, hält er für ein Zeichen.

Von Matthias Drobinski

Große Sache. Leoluca Orlando kommt jetzt auch, der Bürgermeister von Palermo, Kämpfer gegen die Mafia, Gegner der rigiden Antiflüchtlingspolitik des italienischen Innenministers Matteo Salvini. "Ein Highlight", sagt Hans Leyendecker, die Begeisterung hat ihn gepackt, das mag er am Kirchentag: Man versammelt so viele kluge Leute wie selten auf der Welt. Der Bundespräsident und drei seiner Vorgänger kommen, die Kanzlerin, und Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder sitzt auf dem Podium zum Konservatismus. Großartig, wie sich das Chaotische ordnet, das einer solchen Großveranstaltung innewohnt. Mitten im Erzählfluss stockt der Kirchentagspräsident. Er sagt: "Mensch, jetzt rede und rede ich, haben Sie eigentlich 'ne Frage?"

Hans Leyendecker hat sich in die Organisation des Protestantentreffens reingehängt wie kein Kirchentagspräsident vor ihm - "die standen mitten im Berufsleben", sagt er, "ich hatte Zeit." Die Anfrage, ob er das Amt übernehme, erreichte ihn, als er sich gerade von der Leitung des Investigativressorts der Süddeutschen Zeitung zurückzog, das er aufgebaut hatte. Der eigentlich vorgesehene Frank-Walter Steinmeier war Bundespräsident geworden und stand nicht zur Verfügung. Sollte er?

Dortmund ist Leyendeckers Stadt; sein Büro in der SZ glich einem Borussia-Dortmund-Fanshop. Ein überzeugter Christ ist er auch; er konvertierte vom Katholizismus, als er seine evangelische Frau heiraten wollte und damals in Eichstätt eine ökumenische Hochzeit nicht möglich war; die kirchliche Trauung haben sie 36 Jahre und fünf Kinder später nachgeholt. Seit 1975 hat er keinen Kirchentag verpasst. Warum also nicht?

"Für mich ist diese Arbeit ein Geschenk Gottes"

Trotzdem: In einer Reihe mit den Kirchentagspräsidenten Richard von Weizsäcker und Erhard Eppler zu stehen, das habe ihm Respekt eingeflößt. Er hat es gemacht, "weil das Amt sich ja auch geändert hat" - und weil es vielleicht Zeichen der Zeit sei, dass kein großer Intellektueller und Welterklärer dem evangelischen Treffen vorstehe, sondern ein Aufdecker, der erst einmal zweifelt, ob die großen Gesten so redlich sind, wie sie scheinen.

Und so ist Hans Leyendecker, der Journalist, zum Gesicht des Dortmunder Treffens geworden; in mancher Hinsicht ein Rollenwechsel. Als Journalist hatte er zu kritisieren, was schieflief. Als Kirchentagspräsident muss er nun schauen, dass mehr als 2000 Veranstaltungen über die Bühne gehen; er hat sich mit dem Präsidium abzustimmen. Nicht neu für ihn war, sich in die Arbeit zu stürzen, auch mit 70. Diesmal, um den Chefs von Borussia Dortmund so lange auf die Nerven zu gehen, bis der Abschlussgottesdienst im Stadion stattfinden konnte oder, Interview um Interview, den Beschluss des Kirchentags zu verteidigen, keinen Vertreter der AfD aufs Podium zu holen, weil die Partei sich so weit radikalisiert habe, dass ein Dialog nicht mehr sinnvoll erscheine.

Kann es Schöneres geben? "Für mich ist diese Arbeit ein Geschenk Gottes", sagt Leyendecker. Es klingt nicht nach Floskel.

© SZ vom 19.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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