Island:Von Gipfel zu Gipfel

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Krimiautorin, Klimaschützerin: Katrín Jakobsdóttir geht als Favoritin in die Präsidentschaftswahl am 1. Juni. (Foto: Sameer al-Doumy/AFP)

Katrín Jakobsdóttir ist als Premierministerin von Island zurückgetreten, sie will nun Präsidentin werden. Porträt einer ungewöhnlichen Politikerin.

Von Alex Rühle, Stockholm

Gerüchte wehten lange schon durch Reykjavík, jetzt gibt es Gewissheit: Katrín Jakobsdóttir wird bei den Präsidentschaftswahlen am 1. Juni antreten. Das Besondere an dieser Kandidatur: Jakobsdóttir war bislang Islands Premierministerin und Vorsitzende der Links-Grünen Bewegung. Von beiden Posten ist sie am Sonntag zurückgetreten. Insofern war das Video, das sie aus diesem Anlass veröffentlichte, seltsame Rücktrittserklärung und Bewerbung in einem.

Sie sagte, nach 22 Jahren im isländischen Parlament sei es nun an der Zeit für eine neue Aufgabe, für die sie sich ihren eigenen Ausführungen zufolge hervorragend eigne. Schließlich müsse die Präsidentin "die Funktionsweise von Politik und Gesellschaft verstehen, Führungsstärke und Bescheidenheit zeigen, Islands Interessen auf der internationalen Bühne vertreten, schwierige Entscheidungen unabhängig von momentaner Popularität treffen und mit der ganzen Nation sprechen".

Ihr Krimi wurde zum bestverkauften Buch des Jahres

Jakobsdóttir, 48, hat Französisch und Literaturwissenschaften studiert und ihre Abschlussarbeit über den Krimiautor Arnaldur Indridason geschrieben - was, wie sie mal bemerkte, eine hervorragende Vorbereitung auf den Politikjob gewesen sei: "In Krimis geht es darum, dass man niemandem vertrauen kann. Genauso funktioniert Politik auch."

Während der Pandemie schrieb sie dann zusammen mit dem Autor Ragnar Jónasson selber einen Krimi, "Reykjavík". Er avancierte 2022 in Island zum bestverkauften Buch des Jahres und bekam glänzende Kritiken. Als sie von der Sunday Times gefragt wurde, ob das nicht seltsam sei, eine Politikerin, die Krimis schreibe, erklärte sie recht schmallippig, in Island finde das niemand seltsam: "So wie ich keine Leibwächter habe und selber ins Lebensmittelgeschäft gehe, um Essen zu kaufen, kann ich auch ein Buch schreiben."

Jakobsdóttir kam über ihr Umweltengagement zur Politik, 2002 kandidierte sie erstmals für das Parlament. Von 2009 bis 2013 war sie Bildungsministerin, danach wurde sie Vorsitzende der Links-Grünen Bewegung.

Als beim Interview die Erde bebte und Wände wackelten, blieb sie ruhig.

Ihre Regierungskoalition liegt in den Umfragen zwar momentan weit hinter der Opposition, sie selbst aber galt als außerordentlich beliebte Stabilitätsgarantin: Nachdem Island infolge der Finanzkrise 2008 im Dunkel des Nordatlantiks zu versinken gedroht hatte, gab es kurz hintereinander viermal Neuwahlen. Umso dankbarer waren die Isländer, als Jakobsdóttirs Koalition ab 2017 das Land wieder in ruhigere Gewässer führte. 2021 wurde sie wiedergewählt.

Als während eines Interviews mit der Washington Post ein Erdbeben die Wände hinter ihr wackeln ließ, fuhr sie sich nach einem ersten Schreckensmoment durch die Haare und sagte lächelnd in die Kamera: "Well, this is Iceland."

Sie hat das Land durch mehrere Beben geführt, Island ächzt unter der hohen Inflation und steigenden Zinsen. Im November mussten die knapp 4000 Bewohner von Grindavik wegen immer neuer Vulkanausbrüche auf der Halbinsel Reykjanes den Ort verlassen und neu untergebracht werden. Und als im vergangenen Jahr Islands Frauen für gerechtere Löhne auf die Straße gingen, trat auch sie in den Streik und ermutigte ihre Mitarbeiterinnen, es ihr gleichzutun, schließlich sei es "grotesk, dass wir 2023 immer noch ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle haben".

Ohne sie droht der Koalition das Ende

Ihr eigentliches Thema ist der Klimaschutz; Island hat sich unter ihrer Ägide vorgenommen, bis 2040 klimaneutral zu werden. Außenpolitisch hat sich Jakobsdóttir immer wieder klar gegen Russlands Angriffskrieg positioniert. Sie war auch zu Besuch in Kiew und gilt als hervorragende Netzwerkerin.

Fraglich ist, ob die komplizierte Koalition aus den Grünen Linken, der wirtschaftsliberalen Unabhängigkeitspartei und der konservativen Fortschrittspartei ihren Abgang überstehen wird. Jakobsdóttir, die die drei Parteien 2017 mit viel diplomatischem Geschick an einen Tisch gebracht hatte, scheint die Koalition auch hinter den Kulissen zusammengehalten zu haben. Schon am Wochenende gab es erste Auflösungserscheinungen und Forderungen nach Neuwahlen.

Jakobsdóttir gilt nun als eindeutige Favoritin für die Wahlen am 1. Juni. Neben ihr kandidiert unter anderem der Schauspieler Jón Gnarr, der eine Zeit lang Bürgermeister von Reykjavík war.

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