Gescheiterte Erneuerung:Katholische Kirche? Es reicht!

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Totale Unfähigkeit zur Reform: Die Ausgrenzung der Frauen und der zölibatäre Zwang für die Priester hat schon so viel Unheil angerichtet.

Die politische Wochenschau von Heribert Prantl

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der SZ, mit einem Thema, das in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant ist. Hier können Sie "Prantls Blick" auch als wöchentlichen Newsletter bestellen - exklusiv mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

In den katholischen Gotteshäusern brennt rund um die Uhr ein sogenanntes ewiges Licht. Es leuchtet rot, ist in der Nähe des Tabernakels angebracht oder hängt dort in einer Ampel von der Decke. Es soll die Präsenz des Heiligen anzeigen. In sehr vielen Kirchen kann man das Licht mittlerweile als Notsignal vor die Tür hängen.

Der Traum ist aus

Es ist bitter, es ist traurig, es ist zum Verzweifeln: Papst Franziskus hatte nicht die Kraft, vielleicht auch nicht den Willen, den Zölibat zu lockern. Er hatte auch nicht die Kraft, die Ausgrenzung der Frauen in der katholischen Kirche zu beenden und ihnen eine neue Rolle zu geben. Er beißt auf den Granit, mit dem seine Gegner den Vatikan ausgelegt haben. Aber er ist bei den Themen Sexualität und Gleichberechtigung eben auch nicht der Revolutionär, als der er sich beim Thema Wirtschaft hervortut. Nach der jüngsten päpstlichen Entscheidung in Rom genügt es nicht mehr, eine rote Ampel in oder vor der Kirche aufzuhängen. Nun kann man eine ganze Serie von roten Lichtern aufhängen.

Die Hoffnung der Amazonas-Synode ist zerschlagen. Sie wollte dem Priestermangel beikommen und "geeignete Männer, die in der Gemeinschaft anerkannt sind, zu Priestern weihen, wobei sie auch eine legitim gebildete, stabile Familie haben können", wie es im Abschlussdokument heißt. Dieser Traum ist aus - seit Papst Franziskus mit seinem Schreiben "Querida Amazonia" diesem Begehren eine Abfuhr erteilt hat.

Ein Dutzend Kirchen, aber nur ein Pfarrer

Nun ist Deutschland nicht Amazonien, wo es in abgelegenen Gemeinden monatelang keine Sakramente gibt, weil kein Priester da ist, der sie spendet. Den katastrophalen Priestermangel hierzulande haben die Bischöfe in Deutschland lange dadurch einigermaßen bewältigt, dass sie die Pfarreien und Pfarrverbände immer größer machten; in so manchen dieser Großpfarreien gibt es ein Dutzend und mehr Kirchen, aber nur einen einzigen Pfarrer. Das sorgt für Frust bei Priestern selbst, aber auch bei den anderen Hauptamtlichen - und beim Kirchenvolk erst recht. Vor ein paar Jahren hat der Münchner Kardinal Reinhard Marx entschieden, künftig Laien in der Leitung von Gemeinden einzusetzen, man orientiert sich da an französischen Vorbildern. Laien sollen den Pfarrern das Management abnehmen. Aber das reicht nicht. Das ändert nicht viel.

Scheinheilige Argumentation

Ob die Abschaffung des Pflichtzölibats wieder mehr Menschen für den Priesterberuf begeistern würde, ist fraglich. Schließlich hat auch die evangelische Kirche, die den Zölibat nicht kennt, massive Probleme, Nachwuchs zu finden. Dass nur noch wenige christliche Menschen bereit sind, Pfarrer oder Pfarrerin zu werden, hat mit dem Verlust von Anerkennung zu tun, mit der ausufernden Arbeitsbelastung - und dem Umgang der Institution Kirche mit ihren Geistlichen. Allerdings wäre die Lockerung des Zölibats ein wichtiges Zeichen, dass die katholische Kirche die Probleme überhaupt ernst nimmt und dass sie das, was möglich ist, versucht. Die Befürworter des Zölibats verdammen dieses Argument als angeblich zweckrational. Das klingt heilig, ist aber scheinheilig. Der Zweck der Übung ist nämlich ein geistlicher - und was vernünftig ist für geistliche Zwecke, das sollte man auch in Angriff nehmen.

Die Zeitmaschine funktioniert nicht

Es gab die Hoffnung, der Missbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche könne wie eine Zeitmaschine funktionieren - er rüttelt und schüttelt die Kirche so, dass am Ende eine Erkenntnis steht, die es ohne dieses globale Desaster nicht gegeben hätte. Diese Erkenntnis lautet: Wenn es theologisch nicht notwendig ist, ein Zölibatsgesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Zölibatsgesetz zu machen.

Roma locuta, causa finita. Rom hat entschieden, die Sache ist erledigt. Das ist ein Rechtsgrundsatz, der aus dem Kirchenrecht stammt. Er besagt so viel wie: Die Sache ist rechtskräftig, es verbleibt kein Rechtsmittel und es bleibt kein Raum für weitere Diskussionen. Aber das stimmt hier nicht. Nichts ist erledigt, nichts ist endgültig entschieden. Die Diskussion wird weitergehen, weil die Abschaffung des Pflichtzölibats das ist, "was der Kirche nottut und was die Gemeinden brauchen". So hat das der verstorbene Odilo Lechner, der Alt-Abt der Benediktinerklöster St. Bonifaz und Andechs einmal formuliert. Er hat so recht. Und für ein Weiheamt für Frauen gilt das auch. Der bayerische Papst Benedikt hat schon bei der bloßen Forderung nach Gleichberechtigung der Frau in der Kirche gefährlichen "Relativismus" am Werk gesehen.

Die männerbündischen Machtstrukturen sind eine Perversion

Diese Ausgrenzung der Frau in der katholischen Kirche ist nicht nur eine Diskriminierung. Die männerbündischen Machtstrukturen sind eine Perversion. Bisher dürfen Frauen nicht am Altar stehen. Bisher ist nur der Mann das Ebenbild Christi. Bisher sind Frauen von allen Leitungsämtern ausgeschlossen. Bisher wird die männliche Dominanz in der Kirche theologisch gerechtfertigt und die Unterdrückung der Frauen mit biblischen Texten legitimiert. Bisher ist die Frau zuallererst zur Mutterschaft berufen. Bisher ist dem Vatikan gesellschaftliche Emanzipation suspekt. Bisher hat der Sexismus in der Religion einen starken Rückhalt. Bisher gilt Eva als die erste Sünderin - und Frau muss dafür kontrolliert werden.

Ein katholischer Weihbischof hat das schon vor Jahrzehnten so zusammengefasst: "Jesus kam, um Männern das Dienen beizubringen. Sie haben das dann an die Frauen delegiert." So ist das in der katholischen Kirche bis zum heutigen Tag. Nach meinem Dafürhalten ist die Beendigung der Ausgrenzung der Frau in der Kirche noch wichtiger als die Abschaffung des Pflichtzölibats - weil sich sonst die Dominanz der Männer perpetuiert. Mit der Gleichberechtigung der Frau würde der Zölibat wahrscheinlich bald hinfällig; so war das jedenfalls in der evangelischen Kirche, die ihre Pfarrerinnen anfangs zur Ehelosigkeit zwang.

Ein elftes Gebot?

Als vor bald tausend Jahren den Priestern die Ehelosigkeit verordnet wurde, wagten es in Deutschland nur drei Bischöfe, diese römischen Dekrete zu verkünden. Der Bischof von Passau wurde von seinem Klerus um ein Haar gelyncht, als er das tat. Das hat sich im Lauf der Zeit sehr geändert. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurden diejenigen fast gelyncht, die den Zölibat aufheben wollten. Der Vatikan tat so, als sei die Pflicht zur Ehelosigkeit der Priester das elfte Gebot. Es wurde so getan, als sei der Zölibat heilige Pflicht. Als Martin Luther und die anderen Reformatoren diese Pflicht in Frage stellten, weil sie keinen Anhalt an der Bibel hat, wurden sie zu Abtrünnigen erklärt.

Das ist vorbei. Es wäre absurd, diejenigen, die den Zölibat zum Teufel wünschen, zu verteufeln. Heute sind es auch die Treuesten der Treuen, die den Zwang zur Ehelosigkeit in Frage stellen: Die Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz haben das getan und gesagt, die Verbindung von Priestertum und Ehelosigkeit sei theologisch nicht notwendig. Die Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken haben sich dafür ausgesprochen, den Pflichtzölibat für die Priester aufzuheben. Und bekannte Christdemokraten fordern die deutschen Bischöfe seit langem auf, sich für die Priesterweihe verheirateter Männer einzusetzen.

Petrus, der erste Papst, war verheiratet

Der verheiratete Priester gilt den meisten Katholiken, jedenfalls in Deutschland, nicht mehr als lutherische Verirrung, sondern als kluge Option. Ginge es nach dem Kirchenvolk - es würde den Artikel 23 der lutherischen Confessio Augustana von 1530 auch in das katholische Kirchenrecht schreiben: "Dass die Priester und Geistlichen heiraten sollen, ist gegründet auf das göttliche Wort und Gebot." Gott selbst, so heißt es da, habe den Ehestand eingesetzt, um menschlicher Gebrechlichkeit zu helfen.

Aber in der katholischen Kirche geht es nicht nach dem Kirchenvolk, sondern nach den Päpsten, und die haben sich bisher nicht beirren lassen: nicht davon, dass Jesus die Ehelosigkeit von seinen Jüngern nicht gefordert hat; nicht davon, dass Petrus, der "erste Papst", verheiratet war; und auch nicht davon, dass am Beginn der priesterlichen Ehelosigkeit vor tausend Jahren höchst irdische Beweggründe standen: Die Pfründen der Kirche sollten nicht durch Vererbung an Kinder beeinträchtigt werden. Von solchen Begründungen hat sich der Zölibat zwar gelöst - aber gelockert hat er sich nicht.

Sexualität und Sprachunfähigkeit

Eine Gemeinschaft, die vom Wort lebt wie keine andere, ist sprach- und sprechunfähig geworden, nicht nur, aber vor allem, wenn es um ihr Verhältnis zur Sexualität geht. Ausgerechnet die Kirche als Fachinstitution für das Benennen und Eingestehen von Verfehlungen, für Schuldbekenntnis, für Buße, Reue und Vergebung musste im Missbrauchs-Skandal von den Opfern und den Medien gezwungen werden, Stellung zu beziehen. Die Diskussion über den Zölibat, die Diskussion über die Sexualität der Priester ist unüberhörbar, die Ablehnung der katholischen Sexuallehre durch die Gläubigen ebenso. Aber Änderungen der reinen Lehre sind trotzdem tabu. Wenn es so viele Tabus gibt, gibt es keine Wahrhaftigkeit mehr.

Die Wahrhaftigkeit der Kirche richtet sich nicht nach dem Zeitgeist, das ist wohl wahr. Aber sie muss noch Halt haben in der Praxis ihrer Mitglieder. Wohlwollend geschätzt, halten sich vielleicht fünf Prozent der Katholiken in ihrer Lebenspraxis an die Regeln ihrer Kirche. Das wird augenzwinkernd für normal gehalten. Manche mutige und barmherzige Geistliche praktizieren in verschwiegenen Gottesdiensten zum Glück für die Paare und auch für die Kirche immer wieder das, was eigentlich offiziell nicht erlaubt ist, aber von fast allen goutiert wird: Sie segnen in Zeremonien, die der Trauung nahekommen, zum Beispiel geschiedene oder gleichgeschlechtliche Paare. Diese Schizophrenie in der Praxis beschädigt die Wahrhaftigkeit der Institution massiv. Das ist fatal, denn an anderer Stelle sagt sie Wahres, das man nicht relativieren darf - zum Beispiel in Fragen der Gerechtigkeit und Nächstenliebe.

Die Vertreibung der Frauen aus den Machtpositionen ist der Kirche gelungen. Die Entsexualisierung des Menschen kann ihr nicht gelingen.

Das zentrale Problem der katholischen Kirche ist die "Unfähigkeit, die eigenen pathogenen Strukturen und die Folgen der klerikalen Vertuschungen zu erkennen, zu erörtern und daraus praktische Konsequenzen zu ziehen"; so hat es der Familien- und Religionssoziologe Franz-Xaver Kaufmann auf den Punkt gebracht. Pädophilie ist das Risiko einer zwangszölibatären und monosexuellen Kirche, der in 2000 Jahren zwar die Vertreibung der Frauen aus allen Machtpositionen, aber nicht die Entsexualisierung des Menschen gelingen konnte.

Den zölibatären Zwang gibt es nun seit tausend Jahren. Das reicht, das hat viel Unheil angerichtet. Der Zwang diskreditiert auch die Priester, die in freier Entscheidung zölibatär leben wollen; sie haben ein Recht auf ein Leben ohne Verdächtigungen. Der Missbrauchsskandal war und ist ein Jahrtausend-Skandal. Es wäre gut, wenn die katholische Kirche doch noch mit einer Jahrtausend-Reform darauf reagieren würde.

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