Kamala Harris:Fernblick auf die Vizepräsidentin

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Auf gehts zum Regieren: Kamala Harris und Joe Biden kurz vor der Vereidigung im Januar. (Foto: AFP)

Eher etwas für Staatsrechtler und Hobbyjuristen: Dan Morains kraftlose Biografie über die Juristin und Politikerin Kamala Harris.

Von Viola Schenz

Die Bilder werden Amerika und der Welt in Erinnerung bleiben. Unter einem strahlend blauen Washingtoner Himmel schwört die erste Frau, die erste Afro- und erste Asienamerikanerin ihren Amtseid als "Veep", als US-Vizepräsidentin. Auf den Schultern der 56 Jahre alten Kamala Harris lastet enormer Erwartungsdruck: Als dreifache "Erste" soll sie nicht nur Vorbild sein für Amerikas Frauen und "Farbige", sie muss auch im Verbund mit Joe Biden die politischen Trümmer der Trump-Regierung wegräumen und eine zerrissene Nation zusammenflicken.

Zugleich teilt Harris das Schicksal vieler Frauen in gehobenen Ämtern: Statt mit ihrer Gesinnung befassen sich Medien und Öffentlichkeit lieber mit ihrem Äußeren - den roten Chucks, dem weißen Hosenanzug oder der Pussy Bow der Schleifenbluse, dem symbolischen Pendant zur Businesskrawatte. Der Tiefpunkt der Irrelevanz war erreicht mit der Aufregung über ein Vogue-Cover, auf dem Harris ihre geliebten Turnschuhe trug: Nicht staatstragend genug, befanden Wichtigtuer, ein alternatives Cover musste hinterhergedruckt werden.

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Erstmals haben die USA mit Kamala Harris eine Vizepräsidentin und dazu einen männlichen Partner. Gatte Doug Emhoff schreibt jetzt auch noch Sprachgeschichte und kündigt an: "Ich werde nicht der letzte sein."

Wer ist die Frau mit den Chucks und dem unwiderstehlichen Lachen? Wenige Tage nach ihrer Amtseinführung hat der Heyne-Verlag die deutsche Übersetzung ihrer Biografie veröffentlicht ("Kamala's Way - An American Life"). Autor Dan Morain war 27 Jahre als Redakteur bei der Los Angeles Times und acht Jahre bei der Sacramento Bee tätig und hat oft über Harris berichtet. Harris' Lebensweg beschreibt er recht chronologisch. Die Mutter, eine Brustkrebsforscherin, eingewandert aus Indien, der Vater, ein Wirtschaftswissenschaftler, aus Jamaika. Sie engagierten sich in der Bürgerrechtsbewegung der 60er, nahmen die kleine Kamala im Kinderwagen mit zu Demonstrationen im rebellischen Kalifornien. Als sie sieben war, ließen sich die Eltern scheiden; das Verhältnis zum Vater war fortan distanziert, das zur drei Jahre jüngeren Schwester Maja umso inniger, und prägend für sie blieb ihre Mutter Shyamala Gopalan, die 2009 an Darmkrebs starb.

Der Journalist hatte keinen exklusiven Zugang

Im Fokus steht freilich der politische Werdegang. Nach dem Jurastudium startete Harris ihre Karriere als Bezirksstaatsanwältin von San Francisco, wurde 2011 Generalstaatsanwältin und damit Justizministerin von Kalifornien und 2017 US-Senatorin der Demokratischen Partei, setzte sich ein gegen soziale Diskriminierung und für grundlegende Reformen der Strafjustiz.

Als Morain die Biografie im Herbst 2020 verfasste, war Harris auf den Präsidentschaftswahlkampf fokussiert. Sie und ihre Familie gewährten ihm weder ein Interview, noch trugen sie zu seinen Recherchen bei, schreibt er offen im Epilog. Morain liefert keine Enthüllungen, und so kennen interessierte Beobachter die meisten Anekdoten bereits aus den Medien. Er stützt sich auf andere Quellen, zitiert aus ihrer Autobiografie ("The Truths We Hold: An American Journey"), aus Zeitungen oder Wahlspots und lässt Weggefährten zu Wort kommen. Deren Auskünfte geraten jedoch bisweilen erstaunlich belanglos, etwa: "Sie verstand die Probleme. Verstand sie mal etwas nicht, stellte sie Fragen. Man konnte mit ihr reden." Ebenso manche von Morains Beobachtungen: "Sie hob die Adressen in einem Filofax-Planer auf, der 2002 im Wesentlichen einem Notizbuch glich. Erst im Laufe der folgenden Zeit wurde dieses Ringbuch durch ein digitales Notepad ersetzt." An anderer Stelle erzählt er, wie sich Harris und Donald Trump 1994 einmal fast begegnet wären, aber eben nur fast.

Dan Morain: Kamala Harris. Die Biografie. Übersetzt von S. Bieker, C. Bernhardt, K. Singelmann, A. Becker, E. Schestag, H. Zeltner-Shane, P. Biermann, H. Reese und S. Kleiner. Heyne-Verlag, München 2021. 384 Seiten, 22 Euro. (Foto: Heyne)

Morain wirkt mit seinen Skizzen ein wenig wie ein Beobachter aus der Ferne. Harris bleibt seltsam blutleer, man scheint sie nach den knapp 400 Seiten Lektüre nicht besser zu kennen. Nur selten bietet er eine Einschätzung: Sie könne, so Morain, genauso knallhart wie charmant sein, könne Menschen, die ihr seit Langem nahestehen, befremden, und wiederum Menschen, die ihr eigentlich nicht förderlich sind, große Empathie entgegenbringen. Harris wusste immer ihr Privatleben bestmöglich abzuschotten, das macht es einem Biografen nicht leicht. Sie ist kein weiblicher Barack Obama, ein anderer "Erster" mit irgendwie ähnlicher Biografie, der es versteht, wohlgewählte und -dosierte Details aus seinem Familienleben preiszugeben.

Viele Passagen dürften nur Staatsrechtler begeistern

Als Journalist war Morain auf Rechtsthemen fokussiert, das prädestinierte ihn als Beobachter der ranghohen Juristin Harris in seinem Heimatstaat Kalifornien. Sein Faible gerät ihm hier jedoch zur Crux: Über weite Passagen beschreibt er Gesetzgebungsverfahren, verliert sich in juristischen Details oder führt ausführlich Politiker, Staatsanwälte, Kollegen ein, deren Relevanz sich nicht wirklich erschließt. Irritierenderweise tritt Harris dabei immer wieder an den Rand und taucht erst gegen Ende eines Kapitels wieder auf. Auch die Anhörungen vor Senatsausschüssen, in denen Harris eine dominante Stimme ist, lesen sich wie zu lang geratene Protokolle. Staatsrechtler und Hobbyjuristen mag das begeistern, auf eine breitere Leserschaft, erst recht in Europa, wirkt es ermüdend. Vielleicht hätte man die deutsche Fassung auf biografisch wesentliche Abschnitte beschränken sollen.

"In vielen Dingen bist du vielleicht die Erste, aber sorge dafür, dass du nie die Letzte bist", gab ihr ihre Mutter auf den Weg. Harris zitiert diesen Satz oft, etwa bei ihrer Siegesrede am 7. November 2020: "Es mag sein, dass ich die erste Frau in diesem Amt bin, aber ich werde nicht die letzte sein, denn jedes kleine Mädchen, das heute Abend zusieht, sieht, dass in diesem Land alles möglich ist." Sie gilt schon jetzt als Anwärterin für das Präsidentenamt, da der 78-jährige Joe Biden, der älteste Präsident in der US-Geschichte, in vier Jahren vermutlich nicht noch einmal antreten wird. Gewinnt sie, wäre sie ein weiteres Mal die "Erste".

© SZ vom 01.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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