Krieg in der Ukraine:Mehr Macht für den Gewaltherrscher

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Wenn sich Ramsan Kadyrow nicht gerade als Kriegstreiber betätigt, eröffnet der Tschetschenenführer auch mal ein Volkstanzfest, wie hier im Juni im Dorf Benoi. (Foto: Yelena Afonina/IMAGO/ITAR-TASS)

Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow befürwortet eine noch brutalere Kriegsführung in der Ukraine, etwa mit taktischen Atomwaffen. Nun befördert ihn der russische Präsident zum Generaloberst.

Von Frank Nienhuysen, München

Ramsan Kadyrow ist am Mittwoch 46 geworden, und zum Geburtstag gab es einige für ihn wertvolle Geschenke. Der Separatistenführer Denis Puschilin überreichte ihm einen "Heldenstern" der sogenannten "Donezker Volksrepublik", die Moskau annektiert hat, obwohl Russland das ukrainische Gebiet nicht einmal ganz kontrolliert. Doch worauf das tschetschenische Oberhaupt besonders stolz war: Wladimir Putin beförderte ihn mit besten Glückwünschen zum Generaloberst. "Unglaublich dankbar" zeigte sich Kadyrow dafür. Die tschetschenische Bevölkerung werde Putins Kurs überall auf der Welt voll und ganz unterstützen.

Der brutale tschetschenische Machthaber ist extrem loyal zum Kremlchef und hat schon deshalb guten Grund dazu, weil er im Januar gesagt hat, seine nordkaukasische Republik würde ohne die finanzielle Hilfe Moskaus keine drei Monate überleben, nicht einmal einen Monat. Persönlich deutlich interessanter ist für Kadyrow allerdings die Beförderung zum Generaloberst der russischen Armee.

Putin ist nach der russischen Verfassung als Präsident auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, die gerade in der Ukraine einige Misserfolge erleben und immer weiter von den ukrainischen Truppen zurückgedrängt werden. Diskreditierende Äußerungen über die russische Armee stehen seit einigen Monaten in Russland unter Strafe, weshalb die vehemente Kritik Kadyrows besonders ins Gewicht fällt.

Nach der Aufgabe der strategischen ukrainischen Kleinstadt Lyman bezeichnete Kadyrow den zuständigen General Alexander Lapin als "Nichtsnutz", dem Generalstabchef Walerij Gerassimow warf er Klüngelei vor. Das ist insofern erstaunlich, da Lapin als von Putin besonders geschätzter General gilt. Der Kommandeur des russischen Zentralen Militärbezirks hatte erst im Sommer zusätzlich Verantwortung auch für Truppen in der Ukraine übernommen und ist im Gegensatz zu anderen regionalen Militärkommandeuren bisher nicht entlassen worden.

Kadyrow will seine Kinder an die Front schicken

Kadyrow erhielt mit seiner Kritik schnell Unterstützung von Jewgenij Prigoschin, der als Putins "Chefkoch" ein enger Vertrauter des russischen Präsidenten ist und die Söldnertruppe Wagner gegründet hat. Sowohl Prigoschin als auch Kadyrow haben in der Ukraine eigene Kämpfer eingesetzt. Kadyrows Truppen sind offiziell Teil der russischen Nationalgarde, worauf sich deshalb wahrscheinlich auch seine Beförderung zum Generaloberst bezieht. Kadyrow und Prigoschin gehören dem Lager derjenigen an, die eine Verschärfung des Krieges befürworten, Kadyrow kündigte sogar an, seine jugendlichen Kinder an die Front zu schicken, und warb dafür, taktische Atomwaffen gegen die Ukraine einzusetzen.

Das russische Verteidigungsministerium gerät mit all diesen Äußerungen allmählich unter politisches Feuer im eigenen Land, zumal jetzt erstmals auch aus der Duma: Der Chef des Verteidigungsausschusses, Andrej Kartapolow, kritisierte im Sender "Solowjow Live", dass man "mit dem Lügen aufhören muss", was die militärische Lage angehe, und meinte das Ministerium. So seien etwa praktisch alle Grenzorte im russischen Gebiet Belgorod zerstört, und die Russen würden davon auch erfahren, von den Gouverneuren, den Militärreportern, aber nicht vom Verteidigungsministerium.

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Der Kreml könnte leicht die Kritiker maßregeln, die ohnehin nicht Putin selber meinen. Aber das hat er nicht getan. Und nun befördert Putin Kadyrow sogar zum Generaloberst. Die unabhängige russische Medienplattform Meduza, die inzwischen offiziell von Riga aus berichtet, aber gut in Russland vernetzt ist, sieht Kadyrows Position deutlich gestärkt. Mehrere Quellen, die dem russischen Präsidialamt und der Regierung nahestehen, sagten demnach, dass Putin sich nach den jüngsten Misserfolgen an der Front "für alternative Wege bei den Kampfhandlungen interessiert". Der Präsident halte die "Arbeit der tschetschenischen Bataillone und der von Prigoschin für effektiv". Ihm würden im Moment "echte Kerle" gefallen. Für Kadyrow wäre das eine Chance, weit über Tschetschenien hinaus im eigenen Land an Einfluss zu gewinnen, womöglich sogar bei der Kriegführung in der Ukraine.

Unterstützt wird nach dem Meduza-Bericht dieses Lager von einigen ehrgeizigen jungen Leuten, die aus dem föderalen Schutzdienst stammen, der für die Sicherheit des Präsidenten und der Regierung zuständig ist. Einer von ihnen sei der Gouverneur von Tula, Alexej Djumin. Er rechne sich angeblich Chancen aus, nach Moskau zurückzukehren, womöglich ins Verteidigungsministerium. Dort aber ist Sergej Schojgu der Chef, einer von Putins allerengsten Vertrauten. Sie haben sogar mehrmals gemeinsam Urlaub in Schojgus sibirischer Heimat verbracht.

Trotz der lauter gewordenen Kritik halten die Meduza-Quellen eine Prognose über gravierende Machtverschiebungen für zu gewagt. Putin sei immer noch "konservativ bei Personalfragen", heißt es. Radikale Wechsel werde er wohl kaum vornehmen ausgerechnet in einem Moment, in dem das Ministerium öffentlich in der Kritik stehe. Und die nimmt weiter zu. Am Donnerstag schloss sich der vom Kreml im Gebiet Cherson eingesetzte Statthalter an, Kirill Stremousow. Er ziele nicht auf das Verteidigungsministerium ab, sondern meine "eine Handvoll unfähiger Kommandeure", sagte er in einem Videopost. Aber das Tabu ist längst gebrochen.

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