Jüdische Zwangsarbeiter:Kleinliche Entschädigung

Lesezeit: 2 min

Zehntausende ehemalige Ghettoarbeiter bekommen endlich eine Rente - doch die Versicherungen zahlen weniger, als die jüdischen NS-Opfer erwartet haben.

Robert Probst

Ein besonderes Kapitel im Umgang mit NS-Unrecht ist und bleibt die Entschädigung jüdischer Ghettoarbeiter. Zehntausende Holocaust-Opfer, die meisten von ihnen aus Israel, warten seit Jahren vergeblich auf die ihnen zustehende Rente.

Doch das Gesetz von 2002, mit dem die Bundesregierung eigentlich den Weg freimachen wollte für eine späte Geste der Versöhnung, erwies sich als so praxisfern, dass mehr als 90 Prozent der Anträge angelehnt wurden. Erst ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts im vergangenen Jahr änderte dies.

Nun haben sich die Rentenversicherungen bereiterklärt, den mehr als 60.000 NS-Opfern, die bisher leer ausgegangen sind, eine Rente zu zahlen - allerdings nur rückwirkend von Januar 2005 an, das Gesetz hatte eigentlich einen Zahlungsbeginn Mitte 1997 vorgesehen.

Für die hochbetagten Menschen macht das einen großen Unterschied. Viele wird das Geld gar nicht mehr erreichen. "Wir bekommen jeden Tag Anrufe, dass wieder einer unserer Mandanten gestorben ist", sagt Opferanwalt Nils Johannsen.

Es geht um sehr viel Geld; Geld, das die Rentenversicherungen aus dem allgemeinen Topf der Versicherten nehmen müssen. Würden alle Ansprüche rückwirkend bis 1997 abgegolten, wäre es wohl bei monatlichen Zahlungen zwischen 150 und 300 Euro um mehr als zwei Milliarden Euro gegangen. Nun ist die Rede von zwischen 500 Millionen und fast einer Milliarde Euro - genaue Zahlen sind noch nicht bekannt.

1997 entschied das Bundessozialgericht erstmals, dass Juden, die im deutsch besetzten Osteuropa in Ghettos für die Wehrmacht oder deutsche Konzerne gearbeitet hatten, unter bestimmten Umständen einen Rentenanspruch erworben hatten. Diese Tätigkeiten seien zu unterscheiden von der Zwangsarbeit, wie sie KZ-Häftlinge oder verschleppte Zivilpersonen leisten mussten.

Der Bundestag machte dann 2002 einen "eigenen Willensentschluss" und den Erhalt eines "Entgelts" in einem Gesetz (ZRBG) zur Voraussetzung für eine Rentenzahlung. Freilich fiel es dann den meisten Antragstellern schwer, dies Jahrzehnte später nachzuweisen. Nicht wenige Holocaust-Überlebende fühlten sich von der deutschen Bürokratie verhöhnt. Die Folge war eine Klageflut vor den deutschen Sozialgerichten.

Erst im Juni 2009 stellen zwei Senate des Bundessozialgerichts in Kassel klar, dass die hohen Gesetzeshürden nicht restriktiv ausgelegt werden dürften - selbst eine Arbeitspflicht im Ghetto und die Entlohnung in Naturalien widersprächen einer Rentenzahlung nicht. Damit war klar - so gut wie alle abgelehnten Antragsteller bekommen nun Geld.

Doch es dauerte noch länger als ein Dreivierteljahr, ehe nun der Bundesvorstand der Deutschen Rentenversicherung beschloss, die 56.000 abgelehnten Anträge "von Amts wegen" wiederaufzugreifen. Deren Pressesprecher, Dirk von der Heide, verweist auf die Vorschriften im Sozialgesetzbuch (SGB X), wonach die Zahlung vier Jahre rückwirkend erfolgen könne: "Wir müssen uns an die Gesetze halten, es gibt keinen Spielraum für eine darüber hinausgehende Rückwirkung." Lediglich etwa in 5000 Fällen, die zum Zeitpunkt der Kasseler Entscheidung noch nicht vor Gericht entschieden waren, wird die Rente rückwirkend zum 1. Juli 1997 gezahlt.

"Das führt zu zufälligen Ergebnissen und Ungerechtigkeiten", sagt dazu Anwalt Johannsen. Kläger, deren Verfahren zügig von den Sozialgerichten entschieden wurden, hätten das Nachsehen, Kläger, deren Verfahren sich aus verschiedenen Gründen länger hinzogen, profitierten. Als "einzig gerechte" Lösung hätte der Anwalt gern gesehen, dass der Gesetzgeber nach dem wegweisenden Urteil die Antragsfrist für alle noch einmal verlängert hätte - doch dies geschah nicht.

Deutlicher wird da Jost Rebentisch vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte: "Der Hintergrund ist ebenso banal wie simpel: Die Rentenversicherungsträger sparen bis zu einer Milliarde Euro, wenn sie wie geplant vorgehen." Keine Kritik kommt dagegen von der Jewish Claims Conference, die das Vorgehen der Versicherungen "nachdrücklich begrüßt".

Die Claims Conference hofft, dass nun alle Anträge bis zum Jahresende abschließend bearbeitet werden können. Anwalt Johannsen rechnet dagegen mit bis zu zwei Jahren. Unklar ist noch, ob die Anwälte dann gegen das Anfangsdatum der Rentenzahlungen Widerspruch einlegen werden.

© SZ vom 07.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: