Judenverfolgung:"Nie vom Holocaust gehört"

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Schüler nehmen am Holocaust-Mahnmal in Berlin an einer Gedenkveranstaltung zu den November-Progromen teil. Einer Studie zufolge schwindet das Wissen über die Judenvernichtung unter jungen Deutschen. (Foto: Getty Images)
  • Einer Studie zufolge wissen 40 Prozent der Deutschen im Alter zwischen 18 und 34 Jahren nach eigener Einschätzung wenig bis nichts über den Holocaust.
  • Weitere Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Bewusstsein für die Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg zurückgeht. Beobachter äußern sich besorgt.
  • Antisemitische Straftaten haben der Polizeistatistik zufolge in den letzten Jahren zwar nicht zugenommen. Allerdings werden Anfeindungen gegenüber Juden sichtbarer.

Von Benedikt Peters

"Wieviel, würdest du sagen, weißt du über den Holocaust?" So lautete die Frage, deren Beantwortung nun für Unruhe sorgt. Das Marktforschungsinstitut ComRes hat im Auftrag des US-Fernsehsenders CNN eine repräsentative Umfrage unter Tausenden jungen Europäern gemacht. Demnach schwindet das Bewusstsein für den Holocaust in zahlreichen Ländern - auch in Deutschland.

40 Prozent der befragten Deutschen im Alter von 18 und 34 Jahren antworteten, sie wüssten "wenig" oder "gar nichts" über die Judenvernichtung unter den Nazis im Zweiten Weltkrieg. Unter allen europäischen Befragten liegt der Wert bei 33 Prozent. Die Teilnehmer stammen neben Deutschland aus Österreich, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Polen und Schweden. Etwa fünf Prozent der Europäer gab an, sie hätten "nie vom Holocaust gehört".

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Die Befragten äußerten sich unterschiedlich über Israel. Eine Mehrheit von 54 Prozent ist der Ansicht, dass Israel das Recht hat, als jüdischer Staat zu existieren. Ein Drittel glaubt, Kritik an dem Land sei meist durch Antisemitismus motiviert. Ein Drittel sagt allerdings auch, Israel nutze den Holocaust als Rechtfertigung für seine Handlungen. Alte Vorurteile sind offenbar weiterhin sehr präsent. Mehr als ein Viertel der Befragten ist der Meinung, Juden hätten zu viel Einfluss auf die Geschäfts- und Finanzwelt, teilte CNN mit.

Nimmt Antisemitismus in Deutschland zu?

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, äußerte sich besorgt. Die Ergebnisse seien "erschreckend", wenn auch nicht überraschend. Ähnliche Reaktionen kommen von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem sowie vom Internationalen Auschwitz-Komitee (IAK). "Die europäischen Gesellschaften sollten das Alarmsignal, das die Umfrage aussendet, sehr ernst nehmen", sagte IAK-Vizepräsident Christoph Heubner. "Offensichtlich erodiert das Wissen über den Holocaust in dem Moment, in dem in vielen dieser Gesellschaften antisemitischer Hass und rechtsextreme Wutgesänge vermehrt aufflammen."

Die in Jerusalem ansässige Gedenkstätte Yad Vashem teilte mit: "Die Umfrage unterstreicht die beunruhigende Tatsache, dass viele fest verwurzelte, hasserfüllte antisemitische Einstellungen in der europäischen Zivilisation bestehen bleiben."

Die CNN-Studie ist nicht die erste Untersuchung, die darauf hindeutet, dass sich der Umgang mit Antisemitismus und die Holocaust-Erinnerungskultur in Deutschland wandeln. So verweist eine Studie der Universität Bielefeld darauf, dass es in den 73 Jahren seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu Verzerrungen gekommen ist. 18 Prozent der Befragten gaben an, ihre Vorfahren hätten im Nationalsozialismus Opfern geholfen. Die tatsächliche Zahl deutscher Helfer hat den Autoren zufolge aber um ein Tausendfaches niedriger gelegen. Angesichts solcher Befunde sprechen sie von "Erinnerungslücken".

Seit Längerem wird auch darüber diskutiert, ob antisemitische Einstellungen in Deutschland zunehmen. Der Polizeistatistik zufolge haben antisemitische Straftaten in den vergangenen Jahren nicht zugenommen, Anfang der 2000er-Jahre lag die Zahl der Delikte etwas höher als zuletzt. Experten vermuten allerdings, dass die Dunkelziffer hoch sein könnte.

Es gibt aber auch Zahlen, die darauf hindeuten, dass Probleme mit Antisemitismus zunehmen. So ergab eine Studie der FU Berlin, dass es im Internet immer häufiger zu judenfeindlichen Äußerungen kommt. Die Autoren der Studie um die Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel haben dafür etwa eine Viertelmillion User-Kommentare ausgewertet. Wiesen 2007 noch 7,5 Prozent der Kommentare antisemitische Stereotype auf, war der Anteil bis 2014 auf das etwa Fünffache gewachsen. Zudem gab es zuletzt mehrere Fälle antisemitischer Übergriffe oder Ausfälle. Die Sichtbarkeit der Anfeindungen, so könnte man es zusammenfassen, hat also sehr wohl zuletzt zugenommen.

Das kommt auch bei den in Deutschland lebenden Juden an. Eine Umfrage unter etwa 500 Juden ergab, dass 78 Prozent von ihnen eine Zunahme antisemitischer Übergriffe wahrnehme. 29 Prozent gaben an, selbst beleidigt oder belästigt worden zu sein. Immer wieder wird auch über Antisemitismus bei in Deutschland lebenden Muslimen debattiert. Einige Studien kommen zu dem Schluss, dass Vorurteile gegenüber Juden in dieser Gruppe stärker verbreitet sind als im Rest der Bevölkerung.

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