Jean-Claude Juncker:Durchregieren geht nicht

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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP)

Die Anhörungen der neuen EU-Kommissare zeigen: Kommissionschef Juncker will die Gemeinschaft regieren, nicht nur verwalten. Er hat bewiesen, dass sich im Machtzentrum der EU viel geändert hat. Doch er darf nicht vergessen, was sich alles nicht geändert hat.

Kommentar von Daniel Brössler

Anders als die Medizin kennt die Politik für neue Rezepte normalerweise keine Laborphase. Sie kommen direkt am lebenden Objekt zum Einsatz. In der Europäischen Union gibt es eine kleine Ausnahme. Der Wahl der EU-Kommission gehen Anhörungen aller Kommissare voraus. Sie werden von den Abgeordneten auf Eignung und Integrität geprüft. Zwei Wochen lang hat sich dieses Verfahren nun entfaltet mit dem Resultat, dass eine einzige der 27 Kandidatinnen und Kandidaten durchgefallen ist - was keine Überraschung darstellte. Als aufschlussreich erwies sich die Prüfungsphase aus einem anderen Grund. Sie hat die neuen Verhältnisse in Brüssel offenbart und wie sie wirken. Es ist nun etwas klarer, was von Jean-Claude Juncker, der als politischer Kommissionspräsident antritt, zu erwarten ist. Und ob das Anlass zur Sorge gibt.

Die Juncker-Kommission ist ein Novum in der Geschichte der EU, weil das Europäische Parlament einen direkten Zusammenhang zwischen Europawahl und der Berufung des Kommissionspräsidenten erzwungen hat. Juncker betrachtet weniger die nationalen Regierungen als seine Arbeitgeber, denn die Volksvertreter. Daraus schöpft er Legitimität - und Macht. Juncker ist ein Chef der obersten EU-Behörde, der sich gerade nicht als Behördenchef sieht. Er hat ein Wachstumsversprechen abgegeben, den Ausbau des Binnenmarkts postuliert und eine Energieunion angemahnt. Juncker will die EU nicht verwalten, sondern regieren. Als erster Kommissionspräsident stützt er sich dabei auf eine fast schon formelle Regierungsmehrheit aus Christ- und Sozialdemokraten im Parlament. Verkörpert wird diese große Koalition durch ihn selbst als Christsozialen und seinen sozialdemokratischen Stellvertreter, den Niederländer Frans Timmermans.

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Der Kommissionschef will die EU regieren, nicht nur verwalten

Für Juncker waren die Anhörungen daher in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zunächst musste er wissen, ob sich die Kommissare seiner Richtlinienkompetenz fügen. Deshalb war es so wichtig, dass die künftige Handelskommissarin Cecilia Malmström Junckers Diktum gegen Schiedsgerichte im geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP zumindest nicht direkt widersprach. Und deshalb war von Bedeutung, dass der designierte Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn die Vorgabe einer fünfjährigen Pause bei der EU-Erweiterung nicht unterlief.

Auf der anderen Seite musste sich erweisen, ob Junckers Machtbasis im Parlament trägt. Christdemokraten und Sozialdemokraten, unterstützt von den Liberalen, sind ein Bündnis eingegangen, dass dem siegreichen Spitzenkandidaten Juncker den Weg ins Amt des Kommissionspräsidenten ebnete. Übersetzt in die Sprache einer nationalen Demokratie, ging es um die Disziplin in der Koalition. Diese Disziplin hat verlangt, dass sich die Sozialdemokraten letztlich mit dem Spanier Miguel Arias Cañete abfinden, obwohl auch sie dessen Verbindungen in die Ölindustrie für kaum vereinbar halten mit der Aufgabe des Energiekommissars. Und es hat dazu geführt, dass die Christdemokraten Pierre Moscovici als Währungskommissar akzeptieren mussten, obwohl der frühere französische Finanzminister bestens in ihr Feindbild vom Haushaltsverschwender passt.

Auch künftig kennt Junckers Macht Grenzen

Koalitionsdisziplin ist im Europäischen Parlament neu und vermutlich wenig verlässlich. Bisher war das Haus eher geprägt gewesen durch den losen Zusammenhalt der proeuropäischen Kräfte und von wechselnden Zweckbündnissen. Das entsprach sowohl der nationalen und politischen Buntheit des Parlaments als auch einem bedeutsamen Unterschied zu nationalen Volksvertretungen. Es teilte sich eben nicht in Regierungsmehrheit und Opposition. Schon deshalb nicht, weil die EU keine Regierung hat, die parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen Rechnung trägt. Daran hat sich nichts geändert. Die Kommissare werden immer noch von den nationalen Regierungen entsandt. Die Sitzverteilung im Europäischen Parlament spielt dabei keine Rolle, weshalb Sozialdemokraten in der Kommission klar unterrepräsentiert sind.

Juncker hat bisher deutlich gemacht, was sich alles geändert hat im Machtzentrum der EU. Er sollte dabei nicht vergessen, was sich alles nicht geändert hat. Schon die nächsten Gesetzesvorhaben werden zeigen, wie wenig sich Europaparlamentarier auf Disziplin verpflichten lassen. Und bei kommenden Gipfeln werden die Staats- und Regierungschefs Juncker spüren lassen, dass sie sich sehr wohl als seine Arbeit- und Auftraggeber verstehen. Auch künftig kennt die Macht des Kommissionspräsidenten viele Grenzen. Juncker kann dennoch versuchen zu regieren. Wenn er aber versucht durchzuregieren, wird er scheitern.

© SZ vom 10.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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