Frankreich:Architekt des Euro: Früherer EU-Kommissionschef Jacques Delors gestorben

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Jacques Delors 1982 in Paris. (Foto: AFP)

Von 1985 bis 1995 leitete der Franzose die Europäische Kommission. Er ebnete den Weg zur gemeinsamen Währung. Mit 98 Jahren ist er nun gestorben.

Der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, ist tot. Das meldet die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf seine Tochter Martine Aubry. Delors wurde 98 Jahre alt.

Der Franzose war die treibende Kraft hinter dem europäischen Binnenmarkt und dem Euro. Als Präsident der Europäischen Kommission von 1985 bis 1995 half er beim Aufbau des grenzfreien Binnenmarktes, ebnete den Weg zur gemeinsamen Währung Euro und arbeitete an der Erweiterung der Europäischen Union von zehn auf 15 Länder.

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Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron würdigte ihn auf der Plattform X als "Kämpfer für menschliche Gerechtigkeit". Die amtierende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete Delors auf X als "Visionär, der unser Europa stärker machte". Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte Delors als Politiker, der sich "wie kaum ein anderer" für die europäische Einigung einsetzte. Er bezeichnete Delors als "Baumeister der EU, wie wir sie heute kennen".

Delors wurde am 20. Juli 1925 als Sohn einer Arbeiterfamilie in Paris geboren. Seinen ersten Job bekam er mit 19 Jahren, als er nach der Befreiung von Paris im Zweiten Weltkrieg seinem Vater in eine Büroangestelltenstelle bei der französischen Zentralbank folgte. Während seiner Tätigkeit bei der Banque de France absolvierte Delors ein Studium der Wirtschafts- und Bankwissenschaften an der Sorbonne und trat der christlichen Gewerkschaftsbewegung bei. Zwei Ziele - wirtschaftliche Stabilität und sozialer Fortschritt - sollten sein politisches Credo bilden.

Delors war sowohl auf der konservativen Seite der sozialistischen Partei als auch auf dem linken Flügel der konservativen Parteien Frankreichs zu Hause, bevor er sich in den 1970er-Jahren, als François Mitterrand Parteichef wurde, endgültig den Sozialisten anschloss. Die Wahl Mitterrands 1981 zum ersten sozialistischen Regierungschef der Fünften Republik läutete eine Kehrtwende in der französischen Wirtschaftspolitik ein. Die Regierung verstaatlichte die Banken, wertete den Franc ab und schüttete Geld in Programme zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

1995 spielte Delors mit dem Gedanken, für das Amt des französischen Präsidenten zu kandidieren

Als Finanzminister widersetzte sich Delors dem wirtschaftlichen Linksruck und fand sich innerhalb der Regierung an den Rand gedrängt, bis wachsende Haushaltsdefizite, eine galoppierende Inflation und ein schwächer werdender Franc Mitterrand zu einem Kurswechsel zwangen. Die Sternstunde von Delors schlug 1983, als Mitterrand einem Sparpaket zustimmte. Delors erhielt in der neuen Regierung weitreichende Befugnisse im Bereich der Wirtschaft, was ihm Anerkennung für den wirtschaftlichen Umschwung Frankreichs einbrachte und sein Ansehen in Europa steigerte.

Als seine Zeit in Brüssel endete, spielte Delors 1995 mit dem Gedanken, für das Amt des französischen Staatspräsidenten zu kandidieren und lehnte die Bitten führender Sozialisten ab, gegen den späteren Sieger Jacques Chirac von Mitte-Rechts anzutreten. "Es mag sein, dass ich auf dem Sterbebett meine Entscheidung bereuen werde, aber im Moment lebe ich in Frieden damit", sagte Delors damals.

Er kehrte nach Paris zurück und gründete eine politische Forschungsorganisation, Notre Europe, um die europäische Einheit zu fördern. Während sich die EU über den ehemaligen Eisernen Vorhang hinaus nach Osten ausdehnte, kämpfte Frankreich um eine neue Rolle in einem Block, den es nicht mehr kontrollieren konnte. Der Tiefpunkt kam 2005, als die französischen Wähler die geplante EU-Verfassung ablehnten und damit das auslösten, was Delors als "eine schwere Krise bezeichnete, die die Europäische Union in ein leichtes Koma stürzte".

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SZ PlusEuropas letzter Ehrenbürger ist tot
:Merci, Monsieur Euro

Jacques Delors führte Europa aus der Krise bis zur gemeinsamen Währung. Er war der bis heute einflussreichste Chef der EU-Kommission. Sein Traum, der EU "eine Seele" zu geben, blieb jedoch unerfüllt.

Von Christian Wernicke

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