Italiens Innenminister:Wie Salvini den Tod eines Mädchens politisch nutzen will

Italian Interior Minister Matteo Salvini visits a place where a young girl was murdered, in Rome

Innenminister Salvini an der Via dei Lucani in Rom. Der Stadtteil San Lorenzo ist Ausgehviertel, aber auch berüchtigt als Drogenumschlagplatz.

(Foto: REUTERS)
  • Die mutmaßliche Gruppen-Vergewaltigung und der Tod einer 16-Jährigen in Rom heizt die Debatte um Migration und Rechtspopulismus in Italien an.
  • Innenminister Salvini schrieb auf Twitter: "(...) Ich werde alles unternehmen, damit die schuldigen Würmer für diesen Horror bezahlen, ohne Nachlass."
  • Bei seinen Regierungspartnern, den populistischen Cinque Stelle, kam das Gebaren nicht sehr gut an.

Von Oliver Meiler, Rom

An der Via dei Lucani, vor der Nummer 22, stehen jetzt Blumen und Kerzen, wie in einem Schrein. "Gerechtigkeit für Desirée", hat jemand an das alte Tor mit dem Schloss gesprayt. "San Lorenzo vergisst dich nicht." Dazu drei rote Herzen und das Foto eines Mädchens. Desirée Mariottini war 16, als sie hinter diesem Tor, in den Ruinen einer lange verlassenen Liegenschaft im römischen Universitätsviertel San Lorenzo, mit Drogen betäubt und von mehreren Männern vergewaltigt wurde.

Woran sie genau starb, ist noch nicht klar. Zunächst hatten die Ermittler angenommen, "Desy", wie sie alle riefen, aus Cisterna di Latina, sei an einer Überdosis gestorben. Sie war drogenabhängig. Doch dann meldete sich ein Mann aus Senegal bei der Polizei und erzählte, er habe die schreckliche Szene gesehen. Das Mädchen sei von sechs, sieben Männern aus Afrika und dem Maghreb, die dort mit Drogen handelten, misshandelt worden. Sie hätten eine Decke auf Desirée gelegt, nur das Gesicht sei noch frei gewesen.

Wahrscheinlich wäre diese Geschichte ohne den Bericht des Augenzeugen nie bekannt geworden. Eine Überdosis - das sind höchstens fünf Zeilen im Messaggero, der Lokalzeitung der Römer. Nun aber steht der Tod des Mädchens wie ein Symbol für den traurigen Niedergang der italienischen Hauptstadt: für soziale Trostlosigkeit, für gesetzlose Zonen, für totales Missmanagement. Und die Politik zerreißt sich über den Fall.

Um die Jahrtausendwende wurde San Lorenzo plötzlich "in"

San Lorenzo liegt im Herzen Roms, fünf Gehminuten von der Stazione Termini weg, zehn Autominuten entfernt vom Kolosseum. Früher war das ein Arbeiterviertel. Nun leben da vor allem Junge, die an der Sapienza studieren, der römischen Uni. In den vergangenen Jahren haben viele Geschäfte und Werkstätten geschlossen. Es gab mal einen Plan, ganze Ecken von San Lorenzo aufzufrischen, wie es moderne Städte überall auf der Welt tun und dafür Industrieflächen neu zu nutzen. Um die Jahrtausendwende war das Viertel plötzlich "in" geworden, mit neuen Restaurants und hippen Bars. Die Immobilienpreise stiegen.

Doch in Rom verschwinden solche Großprojekte schnell im Schlund der Bürokratie. Dann kam die Wirtschaftskrise. Und so wuchert nun überall Gras, viele Häuser sind besetzt. Migranten ohne Papiere kommen hier unter. Da und dort entstanden autonome Jugendzentren, sogenannte "Centri sociali". Jeden Abend verwandelt sich San Lorenzo in eine Ausgehzone - und in einen Drogenumschlagplatz. Die Dealer sind Afrikaner, der Stoff aber kommt aus Neapel, von der Camorra. Die Polizei wagt sich nur mit Großaufgeboten hin, so rabiat führen sich die Banden auf.

Als nun bekannt wurde, dass Desirée Mariottini mutmaßlich von afrikanischen Drogenhändlern, die keine gültigen Dokumente haben, vergewaltigt wurde, hielt es Innenminister Matteo Salvini für opportun, an die Via dei Lucani zu fahren. Er brachte eine weiße Rose mit.

Von einer Straßenseite brandete Beifall auf: "Großer Matteo!" - "Mach' es wie Onkel Benito", rief einer. Gemeint war Benito Mussolini, der Faschistenführer. Auf der anderen Straßenseite standen Jugendliche der "Centri sociali". Sie warfen Salvini vor, er instrumentalisiere die Tragödie, und skandierten: "Schakal." Als in den Stunden danach zwei verdächtige Senegalesen verhaftet wurden, schrieb Salvini auf Twitter: "Zwei illegale Einwanderer sind festgenommen worden. Ich werde alles unternehmen, damit die schuldigen Würmer für diesen Horror bezahlen, ohne Nachlass." Seinen Anhängern in San Lorenzo hatte er versprochen, er werde schon bald "mit Baggern" zurückkehren.

"Salvini versteht Rom nicht", sagt Bürgermeisterin Virginia Raggi

Mit seinem Auftritt, finden Analysten der römischen Lokalpolitik, wollte Salvini demonstrativ Präsenz zeigen. Die Römer sollten glauben, dass nur er imstande sei, diese Stadt aus der Dekadenz zu befreien. Bei seinen Regierungspartnern, den populistischen Cinque Stelle, kam das Gebaren nicht sehr gut an. Seit zweieinhalb Jahren regieren die Fünf Sterne die italienische Hauptstadt nun schon, und sie sind damit noch immer heillos überfordert. "Salvini versteht Rom nicht", sagte nun Bürgermeisterin Virginia Raggi, und auch das hörte sich hilflos an. Offenbar rechnet sich Salvini aus, dass seine Lega, die früher stets gegen Rom schimpfte, die Stadt bei den nächsten Wahlen erobern könnte. Es war noch nie so leicht.

Die Römer sind ernüchtert, verärgert, vor allem aber müde. Nichts funktioniert, kein städtischer Dienst ist auf der Höhe der Zeit. Die U-Bahn bleibt ständig stecken, Autobusse brennen, Rolltreppen brechen ein. Wenn es regnet, steht alles unter Wasser, stürzen Bäume auf Autos. Viele Straßen sind selbst in der Nacht unbeleuchtet, und über allem schwebt ein vages Gefühl der Unsicherheit.

Nun haben sechs engagierte Römerinnen, alle parteilos, ein Kollektiv gegründet, das den ganzen Verdruss im Namen trägt: "Roma dice basta", etwa: Rom sagt, jetzt ist Schluss. Am Samstag findet ihre erste Kundgebung statt, gleich unter dem Rathaus. Wahrscheinlich ist der Platz nicht groß genug, um alle Menschen zu fassen, die sich um ihre geliebte, dämmernde Stadt sorgen.

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