Italien:Salvinis Volte

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Die Lega will unbedingt in die neue Regierung - ihr Chef verbiegt sich dafür bis zur Selbstverleugnung. Womöglich reicht das aber nicht.

Von Oliver Meiler, Rom

Italiens Politiker sind bekannt für ihre Akrobatik. In der Geschichte der Republik gab es Hochseilakte über den Niederungen des Opportunismus oder bizarre Verbiegungen für die Galerie. Von allen Metaphern, die Lega-Chef Matteo Salvini nun während der Bildung der neuen Regierung für seine spektakuläre Wandlung um die Ohren fliegen, ist die der religiösen Bekehrung die häufigste und wohl auch die unpassendste - vom Saulus zum Paulus in einer römischen Winternacht.

Vom Europagegner zum Europafreund. Aus der ganz rechten Ecke des souveränistischen Populismus hinüber in eine hauptsächlich linke und liberale Koalition. Die Zeitung La Repubblica fragt: "Wenn sich der Teufel das Engelsgewand überstreift, wird er dann gutmütig, oder bleibt er ein Teufel?" Und: "In unserer politischen Theologie steckt eben immer ein Stück Komödie."

Salvini will also unbedingt dabei sein, wenn Mario Draghi, Italiens designierter Premierminister, in den kommenden Tagen sein Kabinett zusammenstellen wird. Am liebsten würde er wieder Minister werden, doch darauf hat er kaum Aussichten. Passt die Lega in das Gefüge einer großen Koalition mit unvereinbaren Seelen, ohne sie zu sprengen? Andererseits: Kann Draghi die Lega, die gemäß Umfragen noch immer stärkste Partei ist, draußen lassen, obschon die sich dafür bis zur Selbstverleugnung verbiegt?

Plötzlich ist Wladimir Putin nicht mehr der Polarstern

Salvini jedenfalls gibt alles. Draghi ist auch für ihn eine unverhoffte Chance: Seit seinem selbstverschuldeten Sturz im Sommer 2019, dem Höhepunkt seiner Popularität, verlor die Lega etwa ein Drittel ihres Zuspruchs. Ein Großteil davon ging an die Postfaschisten von Giorgia Meloni, der Rivalin im rechten Lager, die nun als einzige Kraft im Parlament in die Opposition geht mit dem Ziel, Salvini zu überholen. Salvinis Ansehen implodierte regelrecht, auch weil er in der Pandemie nie den richtigen Ton fand. Im wirtschaftlich starken Norden, dem Stammgebiet der Lega, drängen ihn die Unternehmer in der Krise zu einer vernünftigen Politik - und in die Arme Draghis.

Nach seiner zweiten Unterredung klang Salvini so, als decke sich seine Weltsicht mit der des "Professor Draghi", wie er ihn nennt. Er sagte: "Wir müssen uns an den Demokratien und den Freiheiten des Westens orientieren, wir dürfen nicht Fans sein von Regimes, die nicht demokratisch sind." Er meinte wohl sich selbst. Es ist noch nicht lange her, da beschrieb er Wladimir Putin als "einen der besten Politiker unserer Epoche" und suchte dessen Nähe. Nun ist Salvini Atlantiker.

Für die Einwanderungspolitik wünscht er sich für Italien "einen europäischen Weg". Wie das zu seiner Politik der geschlossenen Häfen passt, mochte er nicht näher erläutern.

AfD, FPÖ, Marine Le Pen - Salvini bricht mit seinen Alliierten

Seinen 29 Europaabgeordneten riet er, für das Reglement zum Recovery Plan der Europäischen Union zu stimmen - und damit gegen die Linie der rechtsextremen Fraktion "Identität und Demokratie", deren Gründung er einst befördert hatte, zusammen mit der AfD, der FPÖ und Marine Le Pens Rassemblement National. Ein dauerhafter Bruch? Man hört, die Lega würde gerne in die Europäische Volkspartei wechseln, um endlich auch von jenem Establishment respektiert zu werden, ohne deren Billigung sie wohl für regierungswürdig gehalten wird: Brüssel, Wirtschaftswelt, Vatikan. Dieser Meinung ist wenigstens Giancarlo Giorgetti, Nummer zwei der Lega, Freund Draghis und großer Einflüsterer des Parteichefs.

Salvini sagt jetzt oft: "Ich bin ein Pragmatiker, Etiketten gefallen mir nicht." Ausgerechnet. Salvini war lange Zeit ein wandelndes Etikett, kein Auftritt ohne Shirt mit Aufdruck: "Basta Euro", "Stop Invasione", "Nein zu den Sanktionen gegen Russland".

An die moderate Version muss sich auch Draghi erst gewöhnen. Als der damalige Vorsitzende der Europäischen Zentralbank 2017 sagte, der Euro vereine die Europäer "unwiderruflich", antwortete Salvini: "Schade, dass ein Italiener Komplize ist beim Massaker unserer Wirtschaft, unserer Jobs, unserer Jugend, unserer Hoffnung. Eine Schande." Aber, das war gestern.

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