Italien:Der mühsame Kampf der Elly Schlein

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Elly Schlein, hier bei der LGBTQ-Pride-Parade in Rom mit dem Bürgermeister der Stadt. (Foto: Mauro Scrobogna/AP)

Seit über einem Jahr regiert Giorgia Meloni - und sichert ihren Postfaschisten zunehmend Sympathien. Die Sozialdemokratin Schlein hält tapfer dagegen, doch Opposition ist in Italien ein schweres Geschäft. Das hat auch mit Männern zu tun.

Von Marc Beise, Rom

"Lasst uns die Debatten wieder ins Parlament verlegen. Da gehören sie hin." Fast flehentlich klang der Aufruf von Elly Schlein. Die Vorsitzende des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) hatte am Wochenende einen zweitägigen Europakongress organisiert, um sich gegen die rechte Regierungsmehrheit um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, 46, in Stellung zu bringen. Dort griff Schlein Meloni auch persönlich hart an, wegen der Kürzung von Sozialleistungen, aber auch beim Thema Migration. Die Ministerpräsidentin erschwere die Rettung von Menschen in Seenot und zeige keine Empathie für Opfer.

Als Vorsitzende der zweitgrößten Partei Italiens ist Schlein, 38, die Oppositionsführerin. Allerdings muss sie erleben, dass ihre Partei in Umfragen bei nicht mal 20 Prozent Zustimmung liegt, während Melonis Fratelli d'Italia (FdI) fast 30 Prozent erklommen hat, deutlich mehr als noch bei der Wahl vor gut einem Jahr. Und das, obwohl die Regierung bei Lichte betrachtet wenig erreicht. Viele ihrer sehr rechten Wahlversprechen - etwa eine Begrenzung der Migration mit brachialen Methoden- hat sie nicht umsetzen können.

Meloni lädt die rechte Prominenz ein, Schlein versucht es mit Romano Prodi

Meloni schafft dennoch, wovon andere Regierende in Europa derzeit nur träumen können, sie hielt ihr positives Momentum. Dies liegt nicht nur daran, dass sie in den Medien und in der Kultur dank ihrer Mehrheit Chefpositionen rigoros mit Anhängern besetzen kann - Anhängern, die teilweise gar nicht erst versuchen, ihre Loyalität gegenüber dem rechten Lager zu verbergen. Es liegt vielmehr auch daran, dass Meloni angesichts der Krisen in der EU und in der Welt auch als Regierungschefin an Statur gewinnt.

Gerade hat sie im Herzen Roms, in der Engelsburg, unter riesigem Medieninteresse das von ihr vor 24 Jahren gegründete Atreju-Festival durchgezogen, ein Treffen der rechten Politikelite, für das sie sogar ausländische Regierungschefs wie den britischen Premier Sunak als Redner gewinnen konnte. Allerdings standen dort auch dubiose Gestalten auf der Bühne, etwa der Führer der rechtsradikalen Vox in Portugal, Santiago Abascal, der durch klar faschistische Äußerungen auffällt, und der nicht minder zweifelhaft agierende US-Milliardär und X-Eigentümer Elon Musk.

Schlein wiederum hatte sich für ihren Europakongress die Mitwirkung des weithin angesehenen früheren Ministerpräsidenten und EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi gesichert. Der 84-Jährige ist immerhin der letzte linke Ministerpräsident, der mit einem Mitte-links-Bündnis - namens L'Ulivo, Olivenbaum - einen Rechten schlagen konnte: 1996 den mittlerweile verstorbenen Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi. Prodi am Rednerpult und Schlein samt Mitstreiterinnen und Mitstreitern in der ersten Reihe, das sei ein wenig so, schrieb der Corriere della Sera, als würden die Sozialdemokraten beim Veteran Unterricht nehmen, wie man erfolgreich Politik macht.

Prodi hatte verhaltendes Lob für Schlein dabei - "sie könnte in der jetzigen Situation die richtige Anführerin sein" - und lobte ausdrücklich deren Entscheidung, die Einladung zu einem Auftritt bei Melonis Festival auszuschlagen: "Wo Leute wie Abascal und Musk auf der Bühne sind, gehören wir nicht hin." Aber wer sich rechtfertigen muss, beim politischen Gegner nicht anzutreten, ist eben schon in der Defensive. Der Zorn der Opposition, dass sie Meloni im Parlament nicht richtig zu fassen bekommt und die Ministerpräsidentin über ihre ausgewählten öffentlichen Auftritte immer wieder Punkte macht, ist zwar verständlich, hilft jedoch nicht weiter.

Die Opposition könnte sich für die Europawahl verbünden. Schwierig mit diesem Personal

Prodi beschönigte die Lage nicht. Der PD habe in den vergangenen Jahren sechs Millionen Stimmen verloren, "und wer keine politische Heimat mehr hat, flüchtet in den Populismus", analysierte er das Wählerverhalten. Die Kritik ging nicht gegen Schlein, sondern gegen ihre Vorgänger, die den Schwund nicht hatten stoppen können. Die junge Linkspolitikerin ist erst im März mit einer Kampfkandidatur gegen das realpolitische Establishment an die Spitze der Partei gerückt. Seitdem tritt sie viel auf, besonders bei von Gewerkschaften und Protestbewegungen initiierten Demonstrationen, und geißelt die Streichung von Bürgergeld und andere Maßnahmen, die "den Menschen ihr Brot nehmen". Schlein ist unermüdlich unterwegs, die Macht aber hat weiterhin Meloni.

Aus Sicht von Prodi liegt die Chance der Opposition darin, sich für die Wahlen zum Europaparlament im Mai 2024 zusammenzutun. Das aber ist nicht einfach. Elly Schlein ist von sehr selbstbewussten, machtorientierten Männern umgeben, die sich nicht unterordnen wollen, auch nicht in einer losen Listenverbindung. Dabei wäre genau das für die Linke wichtig, denn Meloni hat klar zu erkennen gegeben, dass sie bei einem für sie vorteilhaften Wahlergebnis zur Führerin der Rechten in Europa aufsteigen will.

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Namentlich den früheren Premier Giuseppe Conte, 59, ficht das nicht an. Der Vorsitzende der zweitgrößten Oppositionspartei Cinque Stelle arbeitet weiter daran, an Schleins PD vorbeizuziehen. Und der Wirtschaftsliberale Carlo Calenda, 50, hat am Wochenende noch einmal deutlich gemacht, dass er seine Partei Azione nicht automatisch im Mitte-links-Lager sieht. Matteo Renzi wiederum, 48 Jahre alt und Gründer sowie Chef der Partei Italia Viva nahm sogar Melonis Konferenzeinladung an.

So endet das Jahr 2023 politisch so, wie es begonnen hat: mit einer ungefährdet regierenden Ministerpräsidentin. Und einer Opposition, die gegen Melonis "erbärmliche Show" wettert, ohne ihr damit etwas anhaben zu können.

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