Türkei:"Ich will Bürgermeister aller 16 Millionen Istanbuler sein"

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Ekrem Imamoğlu am Mittwoch vor seinen Anhängern vor dem Istanbuler Rathaus. (Foto: REUTERS)
  • Istanbuls neuer Bürgermeister Ekrem Imamoğlu (CHP) feiert seinen Wahlsieg.
  • Bei einem Auftritt gibt er sich Minderheiten gegenüber inklusiv und demonstriert seine Religiosität.
  • In den sozialen Medien wird er ebenfalls überschwänglich gefeiert.
  • Die AKP von Präsident Erdoğan wollte Imamoğlus Amtsantritt mit allen Kräften verhindern, doch der Sozialdemokrat blieb so gelassen wie im Wahlkampf.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Ekrem Imamoğlu steigt noch einmal auf das Dach seines Wahlkampfbusses, inmitten der Menge. Tausende sind am Mittwochabend zum Istanbuler Rathaus gekommen, um Imamoğlus Wahlsieg zu feiern. Imamoğlu, 48, ist der neue Rathauschef der Megametropole am Bosporus, der erste seit 25 Jahren, der aus der säkularen, sozialdemokratischen Partei CHP kommt. In Istanbul hatte vor einem Vierteljahrhundert der heutige Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Bürgermeister seine außerordentliche politische Karriere begonnen.

"Ich will Bürgermeister aller 16 Millionen Istanbuler sein", betont Imamoğlu, "ohne jede Diskriminierung". Von seinem Busdach aus sagt er, er grüße Türken wie Kurden, und alle Istanbuler Minderheiten, "Armenier wie Griechen". Er verspricht, Istanbul werde eine "frauenfreundliche" Stadt werden. Spontan holt er eine ältere, vollverschleierte Frau an seine Seite und bat um "Gottes Hilfe". Die Menge antwortete: "Amen." Solche Auftritte kannte man bislang vor allem von Erdoğan.

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Von Christiane Schlötzer

Imamoğlu, dessen Namen wörtlich der Sohn des Imams heißt, ist religiös und verbirgt das nicht, bei CHP-Politikern eine Seltenheit. Auch das hat ihm wohl geholfen, die Kommunalwahl am 31. März zu gewinnen, allerdings nur mit einem hauchdünnen Vorsprung von knapp 14 000 Stimmen. Sein Gegner war prominent: Ex-Premier Binali Yıldırım. Der 63-Jährige aber wirkte bei seinen Auftritten oft müde und wenig inspiriert.

Erdoğan selbst hatte sich intensiv in den Wahlkampf eingeschaltet und die Opposition äußerst hart angegriffen und sogar in die Nähe von Terroristen gerückt. Imamoğlu aber blieb geradezu aufreizend gelassen, er ließ sich nicht provozieren. Auch nach seiner Amtsübernahme macht er in diesem Stil weiter und ruft der Menge zu: "Lasst euren Streit hinter euch, denkt positiv."

Für Erdoğans AKP ist der Verlust Istanbuls der schwerste Schlag seit der Gründung der konservativ-islamischen Partei 2001. Bei der Kommunalwahl Ende März behielt sie zwar landesweit die Mehrheit, verlor aber auch andere große Städte, darunter die Hauptstadt Ankara und die Touristenhochburg Antalya. Istanbul ist wirtschaftlich die wichtigste Stadt, die Geldmaschine des Landes. Mittel der Stadtverwaltung flossen auch in regierungsnahe Stiftungen, und immer wieder wurden AKP-nahe Baufirmen bei Großprojekten bevorzugt.

Die AKP will ihre Niederlage nicht hinnehmen, sie hat bei der höchsten Wahlbehörde eine Wiederholung der Wahl in Istanbul beantragt. Der Druck auf die Behörde in Ankara dürfte nun groß sein, wie und wann sie entscheidet, ist offen. Die AKP wollte mit einem Antrag an die Behörde auch verhindern, dass Imamoğlu sein Amt überhaupt antritt. Das lokale Istanbuler Wahlamt aber sah am Mittwoch rechtlich keine Möglichkeit mehr, dies noch länger zu verzögern und rief ihn in den Justizpalast zum Empfang der Ernennungsurkunde. Die gerahmte Urkunde wurde dann zum Twitter-Trend.

In den sozialen Medien, mit denen Imamoğlu gegen die regierungsnahe Medienübermacht angetreten war, wird der neue Bürgermeister ebenfalls überschwänglich gefeiert, etwa mit Videos von osmanischen Militärtrommlern.

Häufig geteilt wurden auch Aufnahmen aus einer Istanbuler U-Bahn-Station, wo die Menschen Parolen auf den neuen Bürgermeister skandierten.

Auf dem zentralen Taksim-Platz aber, wo früher immer gefeiert wurde, nach jeder Wahl und jedem Fußballspiel, blieb es ruhig wie auf einem Friedhof. Wasserwerfer der Polizei parkten an allen Seiten des Platzes, aber keiner kam hier zum Jubeln oder Demonstrieren. Es blieb friedlich, wie es der neue Bürgermeister sich gewünscht hatte.

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