Die Israelis haben im dritten Anlauf einem Mann zu einem klaren Wahlsieg verholfen, der in zwei Wochen wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vor Gericht stehen soll. Sie haben sich in unsicheren Zeiten für einen erfahrenen Anführer entschieden - trotz der Korruptionsvorwürfe gegen Benjamin Netanjahu, dem nun als erstem Ministerpräsidenten in der Geschichte des Landes der Prozess gemacht wird. Der Wahlsieg fiel mit mehreren Mandaten überraschend deutlich aus, nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen liegt Netanjahus rechtsnationale Likud-Partei bei 36 Mandaten, das von Benny Gantz geführte blau-weiße Bündnis bei 32. Netanjahu fehlen demnach zwei Mandate zu der von ihm angestrebten Mehrheit für eine Koalition aus rechten und religiösen Parteien.
Netanjahu war der Hauptverantwortliche für einen Wahlkampf, der zur Schlammschlacht wurde, und es hat sich für den amtierenden Ministerpräsidenten gelohnt. Nach dem Motto, dass schon irgendetwas hängen bleiben wird, hat die Likud-Partei eine Kampagne gegen Herausforderer Benny Gantz gefahren - mit Sex, Lügen, einem gehackten Handy und heimlich aufgenommenen Tonbändern. Auch seine mentale Verfassung wurde in Frage gestellt.
Wahl in Israel:"Die Wähler sind müde, zornig und frustriert"
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Das hat Verunsicherung ausgelöst, bei den Wählern und bei Gantz selbst, der im September mit seinem blau-weißen Bündnis die Wahl noch knapp gewonnen hatte. Im dritten Wahlkampf wirkte er häufig nicht mehr souverän. Der ehemalige Generalstabschef der Armee geriet in die Defensive und musste sich verteidigen, statt sich Angriffen auf seinen Konkurrenten widmen zu können. Er hat mehr reagiert statt agiert.
Die Ideologie hat über die Zweideutigkeit gesiegt
In zwei Wahlkampagnen blieb Gantz vage und war bemüht, sich politisch nicht zu deutlich zu positionieren. Diesmal versuchte er, die sogenannten "soften Rechten" anzusprechen. Diese Taktik ging nicht auf. Da blieben viele Wähler lieber beim Original statt bei der Kopie. Die Hauptbotschaft von Blau-Weiß, sich vor allem personell als Alternative zu Netanjahu zu präsentieren, hat nicht über drei Kampagnen gehalten.
Bei dieser dritten Wahl hat sich auch gezeigt, dass Parteien mit einer klaren Botschaft gewonnen haben: Die Ideologie hat über die Zweideutigkeit gesiegt. Das gilt für den Likud genauso wie die religiösen Parteien und die Gemeinsame Liste der arabischen Israelis. Das von Gantz geführte und aus mehreren Parteien bestehende blau-weiße Bündnis und die linksliberale Allianz aus Arbeitspartei, Meretz und Gescher hatte das Problem, verschiedene Standpunkte vereinen und auch interne Konflikte überdecken zu müssen. Das verhinderte eindeutige Positionierungen. Auch Avigor Lieberman büßte mit seiner ultranationalistischen Partei Unser Haus Israel Stimmen ein, weil er sich diesmal nicht mehr auf den Kampf gegen den seiner Ansicht nach zu großen Einfluss religiöser Parteien konzentrierte.
Netanjahu hat seine Erfahrungen ausgespielt, auf wirtschaftliche Errungenschaften verwiesen, gekämpft und gewonnen - zumindest vorläufig. Er konnte besser mobilisieren und begann damit unmittelbar nach der Wahlniederlage im September. Der von US-Präsident Donald Trump Ende Januar vorgestellte Nahostplan hat ihm dabei geholfen. Netanjahu stand während der Präsentation an der Seite Trumps, während Gantz sich im Hinterzimmer die Pläne zeigen ließ - und dann nach der deutlichen Zustimmung in Israel dazu verlauten ließ, auch er würde die Vorschläge umsetzen.
Die Wahl kann als Freibrief dafür gelten, dass sich Politiker in Israel alles erlauben können
Die EU-Staaten können nun ihre Beratungen darüber intensivieren, welche Maßnahmen sie nun ergreifen werden, wenn Netanjahu die Annexion von Teilen des Westjordanlandes vornimmt. Der diplomatische Protest einzelner EU-Staaten, darunter Deutschland, wird ihn nicht davon abhalten, das Jordantal und Gebiete, auf denen die Siedlungen im Westjordanland stehen, zu israelischem Staatsgebiet zu erklären. Netanjahus Sieg ist eine Bestandsgarantie für die 120 Siedlungen und lässt die Bildung eines palästinensischen Staates unrealistischer denn je seit der Ermordung von Ministerpräsident Jitzhak Rabin vor 25 Jahren werden. Wenn Israel die Annexion umsetzt, wird der Nahostkonflikt wieder eskalieren.
Der Nahostplan hat zwar zu einer höheren Wahlbeteiligung der arabischen Israelis, die zwanzig Prozent der Bevölkerung ausmachen, und zu einem Stimmenzuwachs für die Gemeinsame Liste geführt. Aber mit seiner rastlosen Kampagne, in der er sich für fast jede einzelne Wählergruppe etwas einfallen ließ, konnte Netanjahu ebenfalls mehr Israelis zur Stimmabgabe für seinen Likud bewegen und die höhere Beteiligung im arabischen Sektor kompensieren.
Seinen Kampf ums politische Überleben führt Netanjahu nach der Wahl weiter. In der Wahlnacht hat er bereits angekündigt, Abgeordnete der Konkurrenz auf seine Seite ziehen zu wollen. Er wird bereit sein, fast jeden Preis für Überläufer zu zahlen. Der schon jetzt am längsten amtierende Ministerpräsident des Landes wird alle Möglichkeiten ausreizen, ehe er sich auf Verhandlungen zur Bildung einer großen Koalition einlässt. Lieberman hat am Dienstagvormittag bereits angedeutet, doch zu einem Regierungseintritt bereit zu sein. Nur als Ministerpräsident kann Netanjahu bis zu einem rechtskräftigen Urteil im Amt bleiben und versuchen, sich auf politischem Wege Immunität zu verschaffen.
Der Prozess gegen Netanjahu soll am17. März starten, seine Anwälte wollen eine Verzögerung. Netanjahu wird seinen Kampf fortsetzen und auch das Gericht als Bühne nutzen. Er wird nicht davor zurückschrecken, den Rechtsstaat weiter zu diskreditieren und die Judikative anzugreifen. Netanjahu wird diesen Wahlsieg als Votum über seine juristischen Probleme darstellen, nach dem Motto: Seht her, trotz der Anklagen wollen mich die Israelis weiter als Ministerpräsidenten! Er hält sich ohnehin für sakrosankt.
Dieses Votum kann als Freibrief dafür gelten, dass sich Politiker in Israel alles erlauben können. Der Preis für Netanjahus Wahlerfolg im dritten Anlauf ist ein gespaltenes Land und eine politische Kultur, für die sich sogar Präsident Reuven Rivlin schämt, wie er am Wahltag sagte.