Wahlkampf in Israel:In einer anderen Liga

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"König Bibi" überragt sie alle: Wahlkampfplakat der Likud-Partei von Benjamin Netanjahu (Dritter von rechts) in Petah Tikva. (Foto: Oded Balilty/AP)
  • Vor der Wahl in Israel am 9. April kämpfen die Kandidaten mit harten Bandagen.
  • Am Ende könnte eine Partei zum Königsmacher werden, die hauptsächlich Cannabis legalisieren will.
  • Die Sicherheit ist trotzdem für viele Wähler das beherrschende Thema.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Der Fragesteller kommt gleich zur Sache: "Sie sagten, Netanjahu würde Sie töten, wenn er könnte. Sie behaupten, Netanjahu habe versucht, Ihr Telefon zu hacken. Es scheint mir, Sie leiden unter starker Paranoia und brauchen Behandlung." Es folgen Buhrufe, ehe Benny Gantz, der schärfste Herausforderer von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bei der Wahl am 9. April, die Menge bei dieser Veranstaltung in einem Tel Aviver Hotel mit einer Handbewegung zum Schweigen bringt. "Ich glaube nicht, dass Netanjahu mich töten will, aber unter gewissen Umständen wäre er froh, wenn ich politisch nicht hier wäre."

Der 59-Jährige geht auch auf die kursierende Meldung ein, dass er sich in psychiatrischer Behandlung befunden habe: "Das ist eine reine Lüge." Er richtet sich noch einmal direkt an den Fragesteller. Es gebe Menschen, die zu einem Psychiater gingen, weil sie Behandlung brauchten. Soll man ihnen das zum Vorwurf machen?

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So geht es Gantz während der Kampagne immer wieder: Der Angreifer muss sich verteidigen. Zuerst hieß es, er sei links. Dann wurde behauptet, dass Iran sein Handy gehackt habe und sich womöglich Sexfotos darauf befänden. Im Finale vor der Wahl wurde gestreut, dass Gantz mentale Probleme habe. All diese Meldungen verbreiteten sich über die sozialen Medien, mit Fake-Accounts und Bots.

Gantz' Fans haben genug von der "korrupten" Likud

Schwierigkeiten hatte der ehemalige Generalstabschef tatsächlich, sich in seiner neuen Rolle als Politiker zurechtzufinden. Am Anfang wirkte er hölzern, im Laufe der Kampagne gewann er an Sicherheit. Er zeigt sich als Kandidat zum Anfassen, der sich Zeit nimmt für Fotos und Anhänger zu sich auf die Bühne bittet.

"Für mich wirkt er noch immer fremd im Anzug", meint Liora Argov, die begeistert zwei blau-weiße Fahnen des Wahlbündnisses bei einer Kundgebung in Ramat Gan schwingt. Die Mittfünfzigerin will den Ex-General wählen: "Er hat eine weiße Weste. Wir haben genug von der korrupten Partei." Damit sind die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu und mehrere Likud-Politiker gemeint. Seit Wochen bemüht sich Gantz darzustellen, dass Premier Netanjahu nicht nur in den drei bekannten Korruptionsfällen, sondern auch vom Ankauf deutscher U-Boote persönlich profitiert habe.

Außerdem kritisiert er Netanjahu dafür, dass er der Lieferung deutscher U-Boote an Ägypten 2014 zugestimmt habe - im Alleingang. Weder der Verteidigungsminister oder der Generalstabschef noch der Mossad-Chef seien eingeweiht gewesen. Zumindest dieser Vorwurf zeigte Wirkung. Einem TV-Sender gab Netanjahu zum ersten Mal seit dem vergangenen Wahlkampf ein Interview und behauptete, ein "Staatsgeheimnis" sei der Grund für seine einsame Entscheidung gewesen, Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit wüsste aber inzwischen Bescheid. Mandelblit, der Netanjahu in drei anderen Korruptionsfällen anklagen will, wies in einem Brief diese Behauptung zurück; auch der damalige Mossad-Chef bezichtigte Netanjahu der Lüge. Eine Reihe von Generälen marschierte auf und verlangte Aufklärung - aber Netanjahu ging einfach nicht darauf ein.

Regierungschef Netanjahu zeigt sich mit den Mächtigen der Welt

Interviews gibt er fast ausschließlich dem eigenen Likud-TV, so muss er sich keinen lästigen Fragen stellen. Die Journalisten sind ohnehin gezwungen, über ihn zu berichten: Wenn er bei US-Präsident Donald Trump erreicht, dass dieser die annektierten Golanhöhen als Teil Israels anerkennt. Oder wenn er in Moskau Russlands Präsident Wladimir Putin jovial für dessen Bemühungen dankt, dass die sterblichen Überreste eines israelischen Soldaten 37 Jahre nach Ende des Libanon-Kriegs zurückkehren. Der Regierungschef zeigt sich mit den Mächtigen der Welt in den Tagen vor dem Urnengang und bestätigt das, was auf den Wahlplakaten mit seinem Porträt verkündet wird: "In einer anderen Liga."

Zuhause absolviert er nur wenige Wahlkampfauftritte. Wenn sich der 69-Jährige unters Wahlvolk mischt, so wie diese Woche auf dem Hativka-Markt in Tel Aviv, dann wird Netanjahu - wie immer von seiner Frau Sara begleitet - von Bodyguards abgeschirmt. Eine Tomate verfehlt ihn, die meisten jubeln ihm zu, einige rufen: "Bibi ist der König von Israel." King Bibi ist der Spitzname des Ministerpräsidenten, der eine fünfte Amtszeit anstrebt. Für den Fall seiner Wiederwahl kündigte er am Samstag eine Annektierung von Teilen des besetzten Westjordanlands an. Je näher der Wahltermin rückt, desto stärker schmilzt der Vorsprung von Gantz.

"Er ist unser Garant für Sicherheit", sagt Ehud Moskowitz einen Tag nach Netanjahus überraschendem Besuch auf dem Markt. Deshalb werde er ihn wählen, versichert der 49-Jährige, der einen Gemüsestand betreibt. "Man muss doch nur schauen, was ringsum los ist. Da brauchen wir jemand mit Erfahrung. Mit politischer Erfahrung."

Die bemüht auch Avi Gabbay - wenngleich der Chef der Arbeitspartei Awoda bis zu Israels Staatsgründer David Ben Gurion zurückgreift. Auf die Frage eines Moderators bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tel Aviv, was seiner Partei am wichtigsten sei, antwortet der 52-Jährige: "Wie Ben Gurion schon sagte: Sicherheit. Und wir haben Erfahrung, das Land zu führen." Die Awoda und ihre Vorgängerparteien dominierten jahrzehntelang das Land. Aber bei diesem Wahlkampf sind sie in den Mühen der Ebene angekommen. Es gibt Umfragen, die der Awoda nach dem von Gabbay völlig überraschend verkündeten Ende der Union mit Tzipi Livnis Partei Die Bewegung nur noch eine einstellige Zahl der 120 Knesset-Sitze prognostizieren - ein Absturz.

Weitere überraschende Konkurrenz

Der Saal ist nur halb voll, während Gabbay seine zentrale Botschaft in den Raum ballert: "Genug ist genug, Bibi muss weg." Er verweist darauf, dass seine Partei Alternativen zu fast allem habe: Vom Verkehr bis zur Gaza-Politik. Orit Zuckerman, eine gepflegte Dame jenseits der 70, erklärt, sie habe schon immer Awoda gewählt und tue es auch heute noch "aus innerster Überzeugung". Der Großteil der Besucher sind Studenten, die sich "eine gerechtere Gesellschaft", "niedrigere Lebenserhaltungskosten" und "weniger Korruption" erwarten. Die Arbeitspartei konkurriert mit der linken Meretz-Partei um diese Wähler.

Mit der Zehut-Partei ist eine weitere überraschende Konkurrenz angetreten. Die vom ehemaligen Likud-Politiker Mosche Feiglin gegründete Partei hat ein Thema auf die Wahlagenda gesetzt: Die Freigabe von Cannabis. Dieser Forderung schließen sich alle frenetisch jubelnd an, als ein langhaariger Moderator mit einem Uncle-Sam-Hut und einer Sonnenbrille zu abendlicher Stunde in einem Lokal in Rishon Letzion Unterstützung einfordert. Fast nur junge Israelis haben sich eingefunden, es riecht nach Bier.

Netanjahu oder Gantz - solange nur Cannabis legalisiert wird

Feiglin hat bei dieser "Freiheitskonferenz" den anderen die Bühne überlassen, steht fast verloren mit Anzug und Kippa auf dem Kopf unter jungen, schwarz gekleideten Menschen. Am Vortag hatte der 56-Jährige rund zweitausend Menschen in Tel Aviv in einen Saal gelockt und dort seine weiteren Botschaften verkündet: Das Westjordanland - er benutzt die israelischen Bezeichnungen Judäa und Samaria - solle von Juden beherrscht werden. Die Palästinenser sollen das Land verlassen. Und ganz Jerusalem samt dem Tempelberg inklusive Aksa-Moschee und Felsendom solle unter jüdische Kontrolle kommen. Von diesen Forderungen haben Chaim Ronel und Yaakov Kubovich, beide in den Dreißigern, schon gehört. "Das stört mich nicht", meint Ronel bei der "Freiheitskonferenz", "solange sie mich rauchen lassen." Kubovich sagt, "es ist ganz gut, wenn die Araber Grenzen aufgezeigt kriegen".

Mit seiner kruden Mischung aus libertären und extremen Forderungen mischt Feiglin den Wahlkampf auf. Er könnte mit Zehut (Identität) am Ende mit fünf Sitzen oder mehr der Königsmacher sein. Feiglin hält sich sowohl die Option Netanjahu als auch Gantz offen - wenn nur Cannabis legalisiert wird.

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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