Israel:In Alarmbereitschaft

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Trauer beim Begräbnis in Bnei Berak, wo fünf Menschen erschossen wurden. (Foto: Oded Balilty/AP)

In Israel wecken drei Anschläge in einer Woche Befürchtungen vor einer neuen Welle des Terrors. Sie fallen in eine Zeit, in der arabische und israelische Politiker sich weiter annähern.

Von Peter Münch, Tel Aviv, und Dunja Ramadan, Tel Aviv, München

Es sind wieder die Tage der blutigen Taten und der drohenden Worte. "Israel ist mit einer mörderischen arabischen Terrorwelle konfrontiert", erklärte Premierminister Naftali Bennett in einer nächtlichen Videobotschaft. "Doch wir werden diesen Terrorismus mit eiserner Faust bekämpfen, und wir werden siegen." Entschlossenheit sollen diese Sätze suggerieren, doch dahinter steckt eine gehörige Portion Ratlosigkeit und vor allem die Angst vor dem Déjà-vu aus den unseligen Zeiten der Intifada.

Am Dienstagabend waren in Bnei Berak fünf Menschen erschossen worden. Ein Polizist war darunter, zwei ultra-orthodoxe Bewohner der Tel Aviver Vorstadt sowie zwei Ukrainer, die nicht als Kriegsflüchtlinge, sondern als Arbeiter ins Land gekommen waren. Der Attentäter, der am Ende seines wahllosen Zugs durch die Straßen selbst erschossen wurde, war ein 26-jähriger Palästinenser aus dem Westjordanland. Es war dies bereits der dritte Anschlag binnen einer Woche. Zuvor waren vier Opfer in Beer Scheva im Süden und zwei im zentralisraelischen Hadera zu beklagen.

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Elf Tote in kurzer Zeit - und die Befürchtung, dass dies womöglich erst der Anfang ist. Denn am Wochenende beginnt der muslimische Fastenmonat Ramadan, in den in diesem Jahr zugleich das jüdische Pessach- und das christliche Osterfest fallen. Festtage sind im sogenannten Heiligen Land oft Tage der Gewalt.

Als Lehre aus dem Ramadan im vorigen Jahr, dessen Eruptionen in den Gazakrieg vom Mai mündeten, hatte Israels Regierung eigentlich in diesem Jahr darauf gesetzt, vorab Spannungen abzubauen. So sollte der Zugang für Palästinenser zum Gebet auf dem Tempelberg großzügiger gehandhabt werden, zudem bekamen noch ein paar tausend Palästinenser mehr Arbeitsgenehmigungen für Israel. Dazu kommen diplomatische Initiativen, bei denen Israels Regierung vor allem auf die mäßigende Kraft des jordanischen Königshaus setzt. Nach zuvor drei Ministern reiste am Mittwoch Israels Präsident Isaac Herzog zu Abdullah II. nach Amman.

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Die neue Terrorserie droht nun jedoch alle Anstrengungen zur Deeskalation zu überlagern. Für Israels Polizei wurde, zum ersten Mal seit dem jüngsten Gazakrieg, die höchste Alarmstufe ausgerufen. Im besetzten Westjordanland wurden die Truppen verstärkt. Zudem kam es zu einer ersten Welle von Verhaftungen, als israelische Sicherheitskräfte noch in der Nacht zum Mittwoch Razzien am Wohnort des Attentäters von Bnei Berak durchführten.

Israel gibt sich abwehrbereit - doch wo lauert die Gefahr?

Israel zeigt sich also abwehrbereit. Das Problem ist allerdings, dass unklar ist, aus welchen Richtungen die Attentate kommen. Denn die Liste der potenziellen Angreifer ist lang. So haben sich zum Anschlag in Bnei Berak per Video die Al-Aksa-Brigaden bekannt, die als bewaffneter Arm der in Ramallah regierenden Fatah gelten, jedoch oft ein Eigenleben führen. Während Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas die Tat verurteilte - israelischen Medienberichten zufolge auf Druck und Drohung des israelischen Verteidigungsministers Benny Gantz - pries der Fath-Chef von Dschenin den Terroristen als "heldenhaften Märtyrer". Ähnlich reagierte die Hamas, die von einer "natürlichen Reaktion auf die Verbrechen der Besatzungsmacht" sprach. Aus dem Gazastreifen, verschiedenen Teilen des Westjordanlands und aus Flüchtlingslagern im Libanon wurden Freudenfeste als Reaktion auf die Bluttat gemeldet.

Doch zugleich verweist die jüngste Anschlagserie noch auf eine ganz andere Gefahr: Schon Anfang 2020, als der damalige US-Präsident Donald Trump noch an seinem Jahrhundertdeal für Nahost bastelte, hatte die Terrormiliz Islamischer Staat in einer Audiobotschaft verkündet, dass eine neue Phase anbreche. Dschihadisten sollten von nun an vermehrt Ziele in Israel angreifen, hieß es darin. Nun scheint das wahr geworden zu sein: Ausgerechnet in der Woche, in der vier arabische Außenminister mit Israel und den USA im Negev zusammenkamen, um einen neuen Nahen Osten zu beschwören, bekannte sich die Terrormiliz zu zwei der drei jüngsten Anschläge in Israel.

Vierzig Sekunden lang ist das Video, auf dem zwei maskierte Männer den Treueid auf den neuen Kalifen der Terrormiliz Islamischer Staat, Abu al-Hassan al-Hashimi al-Qurayshi schwören. Die beiden Männer sollen laut dem IS die Attentäter sein, die am Sonntagabend in Hadera zwei junge Grenzpolizisten erschossen haben. Und auch der Attentäter von Beer Scheva hatte Verbindungen zum IS: 2016 war er zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er nach Syrien reisen und dort für die Dschihadisten kämpfen wollte. Er wurde 2019 aus der Haft entlassen.

IS-Experte Wassim Nasr sagt der SZ im Fall Hadera: "Wir können an dieser Stelle nicht von einer Koordination des IS sprechen, sondern von der Kontaktaufnahme mit der Miliz durch das Video, in dem die Männer ihre Gefolgschaft bekannt geben." Aber die Annäherung zwischen den Golfstaaten und Israel, die in weiten Teil der arabischen Bevölkerung sehr kritisch gesehen wird, könnte eine neue Welle der Gewalt mit sich bringen.

Der neue Kalif soll grausamer sein

Unter dem neuen Kalifen al-Qurayshi verfügt die Terrormiliz zwar nicht mehr über große Territorien, doch die regionalen Zellen sind weiterhin aktiv, auch auf dem Sinai warnten ägyptische Sicherheitsexperten kürzlich vor einem Wiederaufleben der Zelle. Der neue Kalif soll laut Sicherheitsexperten grausamer sein als sein Vorgänger, der Anfang Februar bei einem US-Angriff getötet wurde. Statt groß angelegten Terrorangriffen soll der Fokus auf Überraschungsangriffen im Guerilla-Stil gegen Sicherheitskräfte und Zivilisten liegen.

Erst Ende Januar startete der IS einen Großangriff auf ein Gefängnis in der syrischen Stadt al-Hassaka. Die IS-Agentur Amaq ließ damals verkünden, dass mehr als 800 gefangene IS-Anhänger befreit worden seien.

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