Hisbollah-Raketen auf Israel:"Der Hass wird immer größer. Leider."

Lesezeit: 3 min

Sechs Raketen hat die Terrorgruppe Hisbollah auf das israelische Kibbuz Saar gefeuert. Bürgermeister Yair Bäuml harrt nach wie vor in der Siedlung aus - und liefert eine Analyse des Nahost-Konfliktes aus dem Sicherheitsraum seines Hauses.

Oliver Das Gupta

Dr. Yair Bäuml (53) ist Historiker für die Geschichte des Nahen Ostens und Bürgermeister des Kibbuzes Saar, das von der islamistischen Terrorgruppe Hisbollah mit Raketen beschossen wurde. Die Siedlung liegt drei Kilometer nördlich des Badeortes Naharija und sieben Kilometer südlich der libanesischen Grenze, hinter der die Hisbollah die Kontrolle hat.

Knapp am Haus vorbei: Einschlagsort einer Rakete im Kibbuz Saar. Für die Gesamtansicht bitte auf die Lupe klicken (Foto: Foto: Bäuml)

SZ: Herr Bäuml, die Hisbollah hat Ihr Kibbuz Saar am Wochenende beschosen. Was ist passiert?

Yair Bäuml: In den Feldern und Plantagen landeten drei Raketen. In den Bereich des Kibbuzes schlug dieselbe Anzahl ein, eine verfehlte ein Haus um 50 Zentimeter. Zum Glück wurde niemand verletzt, aber es gab natürlich Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur.

SZ: Gab es schon früher Angriffe auf Saar?

Bäuml: Ja, das ist nichts Neues für uns: Jedes Mal, wenn das nahe gelegene Naharija beschossen wurde, bekamen auch wir ein paar Raketen ab. Das ist seit 30 Jahren so. Seit dem Libanon-Krieg waren es immer kurze Angriffe, das dauerte einen Tag, zwei Tage. Diesmal fällt es der Bevölkerung leichter, den Ort zu verlassen. Mehrere Jahre sah man das als nicht loyal an.

SZ: Wie haben die Kibbuzim auf die Angriffe reagiert?

Bäuml: Etwa 80 Prozent der 400 Einwohner sind zu Angehörigen in den Süden gefahren. Auch meine Familie ist jetzt in Tel Aviv. Ich sitze allein im Sicherheitszimmer meiner Wohnung. Sie wissen ja: Der Kapitän ist der letzte, der das Schiff verlässt.

SZ: Haben Sie Angst?

Bäuml: Es ist keine schwere Stimmung, auch keine leichte. Man wartet ab. Die andere Frage ist natürlich: Wie lange kann man es aushalten, nicht zu Hause zu sein und nicht zur Arbeit zu gehen.

SZ: Steigern die Attacken die Muslimfeindlichkeit der Bewohner ihres Kibbuzes?

Bäuml: Ja. Die meisten verstehen die Situation nicht. Der Hass auf die Leute, die auf uns schießen, wird immer größer. Und das politische Verstehen, das Differenzieren nimmt ab. Leider. Was ist Hamas, was Hisbollah, wofür stehen die Syrer: Keiner weiß genau den Unterschied zwischen den Gruppen.

SZ: Die Kämpfe begannen mit der Verschleppung eines 19-jährigen israelischen Soldaten im Gaza-Streifen, obwohl zuvor die Hamas Israel indirekt anerkannt hatte. War die Reaktion überzogen?

Bäuml: Israel hat in diesem Fall den Fehler bereits in der Vergangenheit gemacht: Letztes Jahr haben wir die Siedlungen geräumt und den Gaza-Streifen komplett verlassen. Das finde ich richtig. Und trotzdem wurden wir mit Kassam-Raketen von dort beschossen. Unsere Reaktion darauf war nicht scharf genug - das war ein Fehler.

Denn: Wir können uns nicht erlauben, von dort angegriffen zu werden. Wenn wir Gebiete räumen, dann soll nicht ein Schuss auf uns abgegeben werden. Wir haben das Recht zu existieren und wir haben das Recht uns zu verteidigen. Wenn Sie mich also fragen, ob Israels Militär-Aktion im Gaza-Streifen richtig ist, muss ich sagen: Ja.

Ich weiß, dass sich PLO und Hamas fast darauf geeinigt hatten, Israel anzuerkennen. Aber Hamas-interne Gegner dieses Kurses haben diesen Soldaten entführt. Wir können doch nicht darauf warten, bis die verschiedenen Hamas-Gruppierungen untereinander Frieden machen.

SZ: Warum reagiert Israel auf Entführungen besonders sensibel?

Bäuml: Wenn ein Soldat bei einem Angriff stirbt, ist das Grund zu großer Trauer. Aber: Wenn jemand von der Hamas oder Hisbollah gekidnappt wird, ist es viel schlimmer. Darum benehmen wir uns manchmal wie ein Elefant im Porzellangeschäft. Das ist unser empfindlichster Punkt, denn jede Familie hat einen Angehörigen beim Militär.

SZ: Sie sind auch Historiker und Dozent an der Universität Haifa. Wie fällt Ihre Analyse des schwelenden Zwei-Fronten-Konfliktes aus?

Bäuml: Eigentlich sind es zwei Konflikte, aber alle reden zur Zeit nur von einem: Über den mit der Hisbollah.

Dabei vergessen fast alle: Die Hisbollah hat eigentlich keinen Konflikt mit dem Staat Israel, weil ihre Interessen nicht in Israel liegen - sondern im Libanon.

Das eigentliche Ziel der Hisbollah ist, möglichst großen Einfluss in Beirut zu erlangen. Sie benutzen Israel, um zu zeigen, dass sie die Einzigen sind, die gegen Israel kämpfen. Israel ist ein Mittel, kein Ziel für die Hisbollah.

Dabei hält Israel nicht libanesische, sondern palästinensische Gebiete besetzt.

SZ: Und der zweite Konflikt?

Bäuml: Das ist der Hauptkonflikt, der zwischen Israelis und Palästinensern. Ich glaube: Israel muss sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen und die jüdischen Siedlungen räumen. Nur dann können wir den Kampf um unsere Existenz weiterführen.

Die Legitimation, die wir heute in der Welt haben, ist nicht sehr groß - weil wir immer noch diese Gebiete besetzt halten. Israel kann ohne die ununterbrochene Existenz-Legitimation nicht überleben, wir brauchen sie jeden Tag.

Diese Legitimation ist uns nicht sicher, so lange der Konflikt mit den Palästinensern anhält. Das einzige Mittel, ihn zu beenden, ist der Rückzug.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: