Israel lässt palästinensische Gefangene frei:"Mörder, die wieder morden werden"

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Ein Dutzend Jahre und mehr haben die 26 Palästinenser im Gefängnis gesessen, unter anderem wegen Mordes. Jetzt sollen sie freigelassen werden. Die Angehörigen der Opfer sind empört - und die israelische Regierung relativiert ihre Geste des Entgegenkommens gleich wieder.

Als Atiyeh Salem Musa im März 1994 verhaftet wurde, war es erst ein paar Monate her, dass der israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin und Jassir Arafat, Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete, das erste Oslo-Abkommen unterzeichnet hatten - einen Meilenstein des Friedensprozesses im Nahen Osten. Rabin und Arafat sind seit langem tot, der Friedensprozess wird nach drei Jahren Stillstand gerade vorsichtig von den USA reanimiert.

Auch deshalb soll Musa nun, nach fast 20 Jahren, freikommen. Er steht mit 25 anderen palästinensischen Langzeithäftlingen auf einer Liste, die der zuständige Ministerausschuss am Sonntagabend gebilligt hat und die in der Nacht veröffentlicht wurde. Die meisten Männer wurden zwischen 1985 und 1994 inhaftiert, viele wurden wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord verurteilt.

Die Seite The Times of Israel listet die Namen der Opfer auf - und beschreibt die grausamen Umstände ihres Todes. Musa hatte den 67-jährigen Isaac Rotenberg auf einer Baustelle in der Stadt Petach Tikwa überfallen. Zwei Tage nach dem Überfall starb Rotenberg, der als Jugendlicher den Holocaust überlebt hatte.

Angehörige von Opfern und ihre Unterstützer waren am Sonntag vom Denkmal für die Opfer des Terrors in Israel auf dem Herzelberg bis vor den Obersten Gerichtshof gezogen, um gegen die Freilassung von Männern zu demonstrieren, die "Blut an den Händen haben". Nun sind sie es, die die Entscheidung der Minister am heftigsten kritisieren.

Es sei ein "trauriger Tag für die betroffenen Familien und für die israelische Gesellschaft", erklärte Meir Indor von der Angehörigenorganisation Almagor der Zeitung Haaretz. "Das sind keine politischen Häftlinge, das sind Mörder, die jetzt freikommen", sagte Gila Molcho, deren Bruder Ian Feinberg vor 20 Jahren ermordet wurde, dem israelischen Fernsehen. "Das sind Mörder, die wieder morden werden."

Eine "Bombe", die Friedensgespräche zerstört

Angehörige von Terroropfern haben noch bis Dienstag Abend Zeit, vor Gericht Einspruch einzulegen. Dass ein solcher die Entscheidung kippt, ist allerdings unwahrscheinlich. Am Mittwoch sollen neue Nahost-Gespräche beginnen, die Freilassung war Bedingung der palästinensischen Autonomiebehörde für ihre Teilnahme. Insgesamt sollen 104 Gefangene freikommen.

Die israelische Regierung hat bereits ihre eigene Geste des Entgegenkommens konterkariert. Wenige Stunden bevor die Minister die Freilassung billigten, kündigte das Wohnungsbauministerium den Bau von 1187 neuen Wohneinheiten in Siedlungen an - für die Opposition eine "Bombe" zur Zerstörung der Friedensgespräche.

Die Palästinenser bitten nun die internationale Gemeinschaft um Hilfe. Chef-Unterhändler Saeb Erekat sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Pläne für neue Wohnungen sollten die Friedensgespräche wieder zum Scheitern bringen. Für die linksliberale Haaretz entspricht die Ankündigung der üblichen Vorgehensweise von Premier Netanjahu: "Einen Schritt vor, drei zurück".

© Süddeutsche.de/dpa/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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