Israel:Oberstes Gericht kippt Kernelement der Justizreform

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Ein Demonstrant im März in Tel Aviv während eines Massenprotests gegen die Regierung. Im Frühjahr und Sommer hatten Tausende gegen die Justizreform demonstriert. (Foto: Ilia Yefimovich/dpa)

Die Grundgesetzänderung hatte dem Gericht die Möglichkeit genommen, gegen "unangemessene" Entscheidungen der Regierung vorzugehen.

Israels Oberstes Gericht hat einen Teil der umstrittenen Justizreform gekippt. Eine knappe Mehrheit von acht der 15 Richter sprach sich dafür aus, eine im Juli verabschiedete Gesetzesänderung für nichtig zu erklären, wie das Gericht am Montag mitteilte. Die Grundgesetzänderung hatte dem Gericht die Möglichkeit genommen, gegen "unangemessene" Entscheidungen der Regierung vorzugehen. Kritiker hatten gewarnt, dass dies Korruption und die willkürliche Besetzung wichtiger Posten fördern könnte. Als Begründung hieß es in dem Urteil, die Gesetzesänderung hätte "den Kerneigenschaften des Staates Israel als demokratischem Staat schweren und beispiellosen Schaden zugefügt".

Regierung kritisiert den Zeitpunkt des Urteils mitten im Gaza-Krieg

In Israels Geschichte wurde bisher noch nie ein vergleichbares Gesetz vom Obersten Gericht einkassiert. Die rechtskonservative Likud-Partei des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu kritisierte das Urteil; Justizminister Yariv Levin sagte, "das Urteil während des Krieges zu veröffentlichen, ist das Gegenteil des Geistes der Einigkeit, der in diesen Tagen notwendig ist, damit unsere Kämpfer an der Front Erfolg haben". Levin, der als treibende Kraft hinter der Reform gilt, hatte das Gericht aufgefordert, das Urteil erst nach dem Krieg zu verkünden. Parlamentspräsident Amir Ochana, auch er ein Likud-Politiker, sprach dem Obersten Gericht die Autorität ab, Grundgesetze für nichtig zu erklären.

Sollte Netanjahus rechts-religiöse Regierungskoalition die Entscheidung nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise. Die Regierung hatte die Gesetzesänderung trotz massiven Widerstands im Parlament durchgesetzt. Israels Oberstes Gericht war daraufhin im September zu einer historischen Gerichtsverhandlung zusammengetreten. Erstmals in der Geschichte des Landes kamen alle 15 Richter zusammen, um über acht Petitionen gegen die verabschiedete Grundgesetzänderung zu beraten.

Oppositionschef Lapid begrüßt das Urteil

Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid drückte seine Unterstützung für das Urteil aus. "Die Entscheidung des Obersten Gerichts kommt am Ende eines harten Jahres des Streits, der uns von innen zerrissen und zur schlimmsten Katastrophe unserer Geschichte geführt hat", schrieb Lapid am Montag auf der Plattform X. Das Gericht habe treu seinen Auftrag erfüllt, die Bürger Israels zu schützen. "Wir geben dem Obersten Gericht volle Rückendeckung."

Die von der Regierung seit ihrer Vereidigung vor einem Jahr massiv vorangetriebene Justizreform hatte die israelische Gesellschaft tief gespalten. Über Monate gingen immer wieder Hunderttausende Protestierende auf die Straße. Kritiker stuften das Vorgehen der Regierung als Gefahr für Israels Demokratie ein. Netanjahus Regierung argumentierte dagegen, das Gericht sei in Israel zu mächtig, man wolle lediglich ein Gleichgewicht wiederherstellen. Verhandlungen über einen Kompromiss waren erfolglos geblieben. Viele sahen die monatelangen heftigen Streitigkeiten als einen Grund dafür, dass Israel am 7. Oktober von dem verheerenden Angriff der islamistischen Hamas im Grenzgebiet zu Gaza so überrascht werden konnte.

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Von Peter Münch

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