Israel:Parlament stimmt Kernelement der umstrittenen Justizreform final zu

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Demonstranten gehen gegen die Justizreform in Israel auf die Straße und blockieren Wege zum Parlament. Die Polizei versucht, sie zu zerstreuen. (Foto: Mahmoud Illean/AP)

Das Oberste Gericht darf Entscheidungen der israelischen Regierung künftig nicht mehr als "unangemessen" kippen. Das Land ist tief gespalten, die Opposition boykottiert die Abstimmung.

Das israelische Parlament hat einem Kernelement der umstrittenen Justizreform in einer finalen Entscheidung zugestimmt. 64 der 120 Abgeordneten votierten für den Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des höchsten israelischen Gerichts einschränkt. Die Opposition boykottierte die Abstimmung.

Künftig darf das Oberste Gericht Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister nicht mehr als "unangemessen" kippen. Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets, das von Kritikern als Gefahr für Israels Demokratie eingestuft wird. Manche warnen gar vor der Einführung einer Diktatur. Die Opposition lehnt die Reform als einen gefährlichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz und als Einfallstor für Korruption und Machtmissbrauch ab. Die Regierung hingegen wirft der Justiz vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen.

Israels Präsident Isaac Herzog hatte sich bis kurz vor der Abstimmung vergeblich um einen Kompromiss zwischen der rechtsreligiösen Koalition von Premier Benjamin Netanjahu und der Opposition bemüht. "Wir befinden uns in einem nationalen Notstand", sagte er einer Mitteilung seines Büros zufolge.

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Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Obersten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Netanjahus Koalition ist die am weitesten rechts stehende, die das Land je hatte. Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck der strengreligiösen Koalitionspartner. Die Reform könnte aber auch Netanjahu selbst in einem gegen ihn laufenden Korruptionsprozess in die Hände spielen.

Angesichts der Justizreform ist die israelische Gesellschaft tief gespalten. Hunderttausende Gegner, aber auch viele Befürworter waren in den vergangenen Monaten immer wieder auf die Straße gegangen. Auch am Montag versammelten sich viele Demonstranten. Ein Zusammenschluss der 150 größten Unternehmen im Land rief aus Protest gegen das Vorhaben zum Streik auf. Von der Arbeitsniederlegung betroffen sind auch einige große Einkaufszentren. Auch mehrere Hightech-Unternehmen wollen sich dem Streik Berichten zufolge anschließen. Die Start-up-Szene gilt als Zugpferd der israelischen Wirtschaft.

In den Reihen der Armee wuchs der Widerstand zuletzt ebenfalls. Etwa 10 000 Reservisten kündigten am Wochenende an, nicht mehr zum Dienst erscheinen zu wollen, sollte die Koalition ihre Pläne nicht stoppen. Berichten zufolge könnte dies die Einsatzbereitschaft des Militärs erheblich beeinträchtigen.

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