Knesset:Israelisches Parlament billigt Teile der umstrittenen Justizreform

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Benjamin Netanjahu, Israels Ministerpräsident, hält an der umstrittenen Reform fest. Vor rund drei Monaten übernahm er mit der am weitesten rechts stehenden Regierung in der Geschichte Israels die Macht. (Foto: Abir Sultan/dpa)

Die Knesset stimmt in erster Lesung einem Gesetzentwurf zu, mit dem die Kontrollfunktion des obersten Gerichts stark eingeschränkt werden soll. Kritiker sehen darin einen Angriff auf den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung.

Israels Parlament hat erstmals über ein Kernelement von Benjamin Netanjahus umstrittener Justizreform abgestimmt. Der Gesetzesentwurf zur sogenannten "Angemessenheitsklausel" wurde in der Nacht auf Dienstag von der Knesset in erster Lesung gebilligt. 64 von 120 Abgeordneten stimmten nach stundenlanger Debatte dafür, 56 stimmten dagegen. Bis die Änderung in Kraft tritt, sind noch zwei Lesungen notwendig. Das Gesetz sieht vor, dem obersten Gericht des Landes die Möglichkeit zu nehmen, Entscheidungen der Regierung als "unangemessen" zu beanstanden und damit zu blockieren.

Ministerpräsident Netanjahu will mit dem Gesetz laut eigenen Aussagen eine willkürliche und politische Einflussnahme der Richter beschneiden. Kritiker sehen in den Regierungsplänen dagegen einen Angriff auf die israelische Demokratie und haben für Dienstag einen Tag großangelegter und "störender" Proteste angekündigt. "Wie Diebe in der Nacht" seien die Regierungsmitglieder vorgegangen, twitterte Oppositionsführer Jair Lapid nach der Abstimmung und kündigte ebenfalls an: "Der Kampf ist noch nicht vorbei. Wir werden die Werte des Staates Israel niemals aufgeben. Millionen Israelis werden morgen mit der israelischen Flagge auf die Straße gehen."

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Gegen Netanjahus geplante Justizreform gab es schon im Frühling wochenlange Proteste in ganz Israel. Sogar Soldaten israelischer Eliteeinheiten beteiligten sich an Streiks und riefen die Regierung auf, von ihren Plänen abzulassen. Netanjahu verschob die Abstimmung daraufhin in den Sommer. Die Proteste gingen trotzdem weiter; in Tel Aviv gehen die Menschen inzwischen seit 27 Wochen auf die Straße. Kritiker werfen Israels Regierung vor, den Rechtsstaat zum eigenen Vorteil aushöhlen zu wollen. Insbesondere an der "Angemessenheitsklausel", die die Gewaltenteilung und die Kontrollfunktion des obersten Gerichts beschneidet, gab es scharfe Kritik.

Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet

Mit der Zustimmung in erster Lesung ist das Gesetz noch nicht verabschiedet. Es geht nun an den Rechtsausschuss der Knesset, bevor es dem Parlament für die zweite und dritte Lesung vorgelegt wird. Wenn es nach der Regierungskoalition geht, die im Parlament über eine komfortable Mehrheit verfügt, soll das Gesetz noch vor dem Beginn der Sommerpause am 31. Juli final verabschiedet werden.

Der Tag der Abstimmung war in Israel von angespannter Stimmung und lauter Kritik geprägt. Wie die Zeitung Times of Israel berichtet, schloss die Knesset vor der Abstimmung ihre Zuschauer-Galerie, um mögliche Proteste während der Abstimmung von vornherein auszuschließen und ließ Protestierende vom Sicherheitsdienst aus dem Gebäude entfernen. Der US-amerikanische Botschafter in Israel, Thomas Nides, sagte, in dem Land seien "Dinge aus der Bahn geraten". Er appellierte an Netanjahu, sein Vorhaben erst umzusetzen, wenn er dafür eine breitere Unterstützung in der Bevölkerung gewonnen habe. Israels Präsident Isaac Herzog nannte die Situation am Montag eine "tiefe und beunruhigende Krise" und rief die Regierung auf, erneut mit der Opposition über die Reform zu verhandeln.

Oppositionsführer Jair Lapid von der Zukunftspartei (Jesch Atid) und Oppositionspolitiker Benny Gantz von der Parteienallianz "Nationale Einheit" geißelten den Gesetzentwurf in der Knesset-Debatte am Montagabend mit scharfen Worten. "Dieser Schneeball, der heute anrollt, wird wachsen, an Dynamik gewinnen und das ganze Land zerstören, wenn wir ihn nicht aufhalten", sagte Gantz im Parlament. Lapid nannte das Gesetzesvorhaben "Wahnsinn".

Zugleich signalisierten die Oppositionsparteien, dass sie auch nach der Billigung des Gesetzes in der ersten Lesung bereit wären, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wie die Times of Israel berichtete, will Netanjahu aber nicht auf die Gesprächsangebote eingehen und das Gesetz wie geplant vor der Sommerpause verabschieden.

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