Nahost:Netanjahu macht Israel zur illiberalen Demokratie

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Benjamin Netanjahu auf dem Weg zu einer Kabinettssitzung (Foto: AP)

Mit dem Nationalstaatsgesetz bricht der Premier das Versprechen auf Gleichberechtigung, das die Staatsgründer vor 70 Jahren gegeben haben. Aus durchsichtigen Motiven.

Kommentar von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Als der spätere israelische Präsident Chaim Weizmann gefragt wurde, wann es einen jüdischen Staat geben werde, antwortete er: "Nie!" Seine Begründung: "Wenn es einen Staat gibt, wird er nicht jüdisch sein, und wenn er jüdisch sein wird, wird er kein Staat sein." Dieses Dilemma, in Palästina eine Heimstätte für Juden aus aller Welt auf einem Territorium zu schaffen, auf dem auch Menschen anderer Ethnien und Religionszugehörigkeit leben, bestand schon vor der Staatsgründung. Bis heute besteht der Widerspruch, dass Israel zwar die einzige Demokratie im Nahen Osten ist, aber zugleich auch Besatzungsmacht, ohne endgültige Staatsgrenzen.

Vor 70 Jahren, in der Unabhängigkeitserklärung 1948, gaben die Gründer Israels eine wichtige Zusicherung ab: Der Staat "wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten". Um zu begreifen, was das Versprechen bedeutete, muss man sehen, wann es gemacht wurde: Israel war existenziell bedroht, die Armeen von fünf arabischen Ländern standen bereit, die Juden zurück ins Meer zu treiben. Die Gleichberechtigung aller Menschen, die Araber eingeschlossen, stand trotzdem außer Frage.

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Die Feststellungen von 1948 fehlen nun in dem am 19. Juli beschlossenen Nationalstaatsgesetz. Das sichert nur noch Juden ein Selbstbestimmungsrecht zu; es schreibt fest, dass der "Ausbau jüdischer Besiedlung gefördert" werden soll. Der jüdische Staat ist Wirklichkeit geworden - Weizmanns Zweifeln zum Trotz.

Die Diskriminierung von Minderheiten ist künftig per Gesetz erlaubt

Aber zu welchem Preis? Die Spaltung der Gesellschaft hat sich weiter vertieft. Auch unter den jüdischen Befragten ist nur eine knappe Mehrheit von 52,3 Prozent für das Nationalstaatsgesetz; 60 Prozent wünschen einen Paragrafen, der die Gleichheit aller Bürger, ungeachtet von Religion oder Herkunft, festschreibt - das Versprechen der Staatsgründer.

Genau dieses Versprechen aber wollten Premierminister Benjamin Netanjahu und seine Mitstreiter nicht mehr geben. Sie wollten ein Zeichen setzen: Die Diskriminierung von Minderheiten - arabische Israelis, Drusen, Christen - ist künftig per Gesetz erlaubt. Das macht Israel zwar noch nicht zu einem Apartheidstaat. Aber die Ungleichbehandlung im Alltag, von der nicht-jüdische Bürger betroffen sind, wird damit legitimiert. Sie werden per Gesetz zu Bürgern zweiter Klasse degradiert - dazu trägt auch die Abstufung des Arabischen bei, das nicht mehr offizielle Amtssprache ist. Dass man sich nach der Empörung der Drusen anschickt, einen Appendix zur Beruhigung nur dieser Gruppe zu formulieren, legt erst recht die Absicht offen: Es ging vor allem um die Ausgrenzung der Palästinenser, die in Israel leben.

Das Gesetz, das in der Knesset nur mit knapper Mehrheit von 62 der 120 Stimmen verabschiedet wurde, grenzt aber auch viele jüdische Bürger Israels aus. Vor den Kopf gestoßen fühlen sich nichtreligiöse Juden, denen die Verschmelzung von Staat, Nation und Religion ohnehin zu weit geht; schon jetzt sind Eheschließungen und Beerdigungen nur mit dem Segen der Rabbiner möglich. Der steigende Einfluss der streng Religiösen, wie sich die Ultraorthodoxen selbst nennen, macht vielen Angst. Mittlerweile überlegen säkulare Israelis, aus ihrem Staat auszuwandern, der als Schutzzone und Heimstätte für alle Juden gegründet wurde - die Heimstätte ist ihnen zu rechts und religiös geworden.

Netanjahus Motiv ist Eigennutz

Netanjahu gibt den Wünschen seiner ultraorthodoxen Koalitionspartner immer wieder nach, von Einschränkungen der Ladenöffnungs- und Arbeitszeiten am Schabbat bis zu seinem Einknicken bei der Regelung der Leihmutterschaft. Erst war er dafür, auch homosexuellen Männern diese Möglichkeit zu eröffnen - auf Druck der Religiösen hin stimmte er dann in der Knesset dagegen.

Zum Glück ist dies nicht die alleinige Wirklichkeit Israels. Gerade erst sind 80 000 Menschen für eine Stärkung von Rechten Homosexueller auf die Straße gegangen, das zeugt von einer aktiven Zivilgesellschaft in Israel. Tausende nahmen an einer öffentlichen Arabisch-Lehrstunde teil. Am Wochenende ist eine weitere Demonstration gegen das Nationalstaatsgesetz angekündigt. Längst nicht alle Israelis wollen die Entwicklung hin zu einer illiberalen Demokratie hinnehmen, in der auch die Rechte für die arabischen Israelis immer mehr eingeschränkt werden.

Die Sehnsucht nach einer nationalen Leitkultur, die einhergeht mit der Ausgrenzung alles Fremden, gibt es auch in Europa; auch hier spielt die religiöse Komponente eine zunehmende Rolle. In Israel will Netanjahu mit seiner religiös-nationalistischen Politik vor allem seine Anhänger zufriedenstellen und Wählerstimmen sichern. Sein wahres Motiv ist der Eigennutz. Netanjahu bricht dafür das Versprechen der Staatsgründer. Das ist ihm der nächste Wahlsieg offenbar wert.

© SZ vom 02.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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