Gaza-Krieg:"Es gibt keine Ausreden"

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Hunger, Krankheit, Tod: Auch die Hilfsgüter-Abwürfe der US-Luftwaffe reichen nicht ansatzweise, um die Not in Gaza zu lindern. (Foto: Mohammed Talatene/DPA)

US-Vizepräsidentin Harris fordert Israel zu mehr Hilfen für die Not leidenden Menschen in Gaza auf. Doch Besserung ist nicht in Sicht. Auch ein Waffenstillstand liegt kurz vor dem muslimischen Fastenmonat Ramadan noch in weiter Ferne.

Von Bernd Dörries, Kairo

Die Worte werden seit Wochen schärfer, die Aufforderungen seit Wochen deutlicher, doch ein Waffenstillstand in Gaza scheint nach wie vor in weiter Ferne zu sein, und die humanitäre Lage der Menschen verbessert sich nicht. "Was wir jeden Tag in Gaza sehen, ist verheerend", sagte US-Vizepräsidentin Kamala Harris am Sonntag. "Die israelische Regierung muss mehr tun, um den Fluss der Hilfe deutlich zu erhöhen", sagte sie. "Es gibt keine Ausreden."

Ähnlich hatte sich in den vergangenen Tagen bereits US-Präsident Joe Biden geäußert, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock fordert ebenfalls in regelmäßigen Abständen mehr Hilfe für Gaza. Auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag hatte Israel Ende Januar dazu aufgefordert, mehr Hilfsgüter ins Land zu lassen.

Zeltstangen werden an der Grenze zurückgewiesen, berichten Helfer

Im Februar kamen nach Angaben der Vereinten Nationen täglich nur noch knapp 100 Lastkraftwagen mit Hilfsgütern nach Gaza, im Januar waren es im Schnitt noch 150 Lkws gewesen. Vor dem Krieg aber hatten täglich etwa 500 Lkws den Gazastreifen erreicht. Israel macht die Vereinten Nationen und Ägypten für die Engpässe verantwortlich: Die Grenzkontrollen verliefen zu zögerlich.

Die Lieferungen gelangen durch zwei Grenzübergänge nach Gaza, über Kerem Schalom auf israelischer Seite und über Rafah an der Grenze zu Ägypten. Lkws, die durch Rafah kommen, müssen zuvor zum Grenzübergang Nitzana auf israelischem Gebiet, dort werden sie auf Waffen untersucht. Nach Angaben von Hilfsorganisationen werden auch Zeltstangen und Schlafsäcke mit Reißverschluss wegen Sicherheitsbedenken zurückgewiesen.

Im Norden des Gazastreifens ist die Lage nach Angaben von Hilfsorganisationen am schlechtesten. Dort müssten sich die Menschen oft von Gras oder übrig gebliebenem Tierfutter ernähren. Mindestens 15 Kinder sind nach Angaben der örtlichen Gesundheitsbehörden an Unterernährung gestorben.

Am Montag reiste Benny Gantz nach Washington

Als ein Hilfskonvoi mit Lebensmitteln am vergangenen Donnerstag Gaza-Stadt erreichte, sollen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen sein, viele davon durch Schüsse israelischer Soldaten. Israel widerspricht: Eine vorläufige Untersuchung durch das Militär habe ergeben, dass die meisten Opfer bei dem Ansturm auf die Hilfsgüter erdrückt worden seien, schließlich seien aus dem Gedränge heraus israelische Soldaten angegriffen worden. Diese hätten daraufhin Warnschüsse abgegeben und einzelne Plünderer, die die Soldaten bedroht hätten, erschossen.

Die USA haben mittlerweile damit begonnen, Lebensmittel aus der Luft abzuwerfen, Freitag waren es fast 40 000 Mahlzeiten. Das Bemerkenswerte sei, dass dies in einem Gebiet geschehe, "das nicht von einer feindlichen ausländischen Macht, sondern von einem ihrer engsten Verbündeten kontrolliert wird", kommentierte die Washington Post.

Am Montag reiste Benny Gantz nach Washington, ein Mitglied des israelischen Kriegskabinetts und Rivale von Regierungschef Benjamin Netanjahu. Der soll die Reise nach Angaben von israelischen Medien mit den Worten kritisiert haben, das Land habe "nur einen Premierminister". In Washington wird die Einladung als Signal an Netanjahu gewertet. Gantz trifft sich dort nach Angaben seines Büros am Dienstag mit US-Außenminister Antony Blinken. Geplant seien außerdem Treffen mit Vizepräsidentin Kamala Harris, dem Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan und führenden Kongressmitgliedern beider Parteien.

Israel blieb den jüngsten Gesprächen in Kairo fern

In Kairo traten Vertreter der USA, der Hamas und der Vermittler Katar und Ägypten zu erneuten Gesprächen über einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln zusammen. Israel blieb dem Treffen offenbar fern, angeblich, weil die Hamas sich weigert, eine Liste aller noch lebenden Geiseln zusammenzustellen. Von den Menschen, die bei dem Terrorangriff am 7. Oktober entführt wurden, befinden sich noch 134 in der Gewalt der Hamas, darunter auch mindestens ein Säugling. Israel geht davon aus, dass mindestens 30 Geiseln nicht mehr am Leben sind. Für eine Liste sei "ein hoher Preis zu zahlen, in Form einer Linderung des Leids der Menschen in Gaza und eines umfassenden Waffenstillstands", sagte ein Hamas-Funktionär der Zeitung Al-Araby Al-Jadid.

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Während westliche Länder den Druck auf Israel erhöhen, mehr Hilfe in Gaza zuzulassen, schweigt die arabische Welt weitgehend zu den Geiseln, die Hamas immer noch in ihrer Gewalt hat. In den vergangenen Wochen war vor allem in den USA immer wieder die Rede davon, dass ein Waffenstillstand vor dem Beginn des Ramadan am 10. März möglich sei. In der Realität gibt es aber weiter große Hürden.

Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters wird derzeit über einen Vorschlag gesprochen, der eine Waffenruhe von etwa 40 Tagen vorsieht. In dieser Zeit sollen die Hamas und ihre Verbündeten etwa 40 der mehr als 100 Geiseln freilassen, die sie noch festhalten. Als Gegenleistung sollen rund 400 Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen werden.

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