Nahostkonflikt:"Ein schlimmeres Schimpfwort in Deutschland gibt es kaum"

Lesezeit: 3 min

Die Politikwissenschaftlerin und Völkerrechtlerin Muriel Asseburg. (Foto: SWP)

Die Wissenschaftlerin Muriel Asseburg wird nach einem Interview von der israelischen Botschaft als Antisemitin kritisiert und bei einem Besuch in Tel Aviv beschimpft. Der deutsche Botschafter reagiert umgehend.

Von Sina-Maria Schweikle

Muriel Asseburg dürfte es geahnt haben. Nach einer Stunde Interview sitzt sie am Tisch hinter dem Mikrofon und sagt: "Mich fasst es an, wenn Leute mich zum Beispiel als antisemitisch bezeichnen." Der Mann, mit dem sie spricht, ist der Journalist Tilo Jung. Mehr als zwei Stunden unterhalten sie sich Ende Juni in der Sendung Jung & Naiv. Das Thema lässt durchaus Raum für Diskussion: "Israel und Palästina".

Da sitzen sie also und sprechen über völkerrechtliche Fragen und Doppelmoral. Über die Begriffe Terror, Apartheid und Besatzung. Über BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) und den politischen Diskurs zum Thema Israel in Deutschland. Über den Werdegang Asseburgs und ihren Umgang mit der Kritik an ihrer Arbeit. "Ein schlimmeres Schimpfwort in Deutschland gibt es kaum", sagt Asseburg über den Begriff "Antisemitin". Nun wird ihr aber genau das vorgeworfen - und das vom israelischen Botschafter Ron Prosor in Berlin.

Eine Akademikerin, die der "Verschwörungsfantasie" und des "Israel-Bashings" bezichtigt wird

Der Ton ist scharf. Muriel Asseburg betreibe "Antisemitismus im pseudoakademischen Milieu", heißt es auf dem offiziellen Twitter-Account der israelischen Botschaft. Wörter wie "Verschwörungsfantasie" und "Israel-Bashing" sind da zu lesen. Schützenhilfe bekam der israelische Botschafter in den sozialen Netzwerken sogleich von Ex- Bild-Chef Julian Reichelt: "Für solchen antisemitischen Dreck sollten wir nicht zwangsweise bezahlen", schrieb er auf Twitter.

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Anlass der Kontroverse ist unter anderem Asseburgs Aussage, dass die israelische Regierung in der Nahostpolitik auf Deutschland "Druck ausüben" könne, weil "wir sie zum Schiedsrichter gemacht haben darüber, ob wir denn sinnvoll mit unserer Vergangenheit umgehen". Auch Parallelen zwischen dem israelisch-palästinensischen Konflikt und dem Krieg in der Ukraine werden in dem Gespräch gezogen. Viele Palästinenser seien der Meinung, so Asseburg, dass die Ukraine gerade etwas erleben würde, das sie gut kennen, "Übergriffe, Bombardierungen, Besatzung, völkerrechtswidriges Vorgehen". Natürlich, über diese Aussagen lässt sich trefflich streiten, genauso wie über manch andere Aussage im Interview - aber ist es nicht das, was Wissenschaftler machen sollten: einen sachlich, nüchternen Diskurs über kontroverse Themen zur Erkenntnisgewinnung führen?

Asseburg, dafür ist sie bekannt, wägt jeden Satz genau ab und denkt über das Gesagte des Gegenübers nach. Die promovierte Politikwissenschaftlerin und Völkerrechtlerin arbeitet schon lange bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Ein von der Bundesregierung finanzierter Thinktank, der die deutsche Regierung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen berät. Dort publiziert sie regelmäßig Analysen zur Situation in Israel und Palästina. Wer bei der SWP arbeitet, gilt gemeinhin als angesehener Experte.

In Tel Aviv wurde Asseburg auf offener Straße bedroht

Ein solcher Angriff wie aus der israelischen Botschaft auf Asseburg ist also höchst ungewöhnlich. Eine Entwicklung, die der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Yoram Ben-Zeev, kritisiert. Er sprach seine Unterstützung für Muriel Asseburg und ihre wissenschaftliche Arbeit aus. Enttäuscht sei er über die "Quelle und die Art der orchestrierten Kampagne gegen sie", erklärte er. "Bitte tun Sie weiterhin das, was Sie am besten können", forderte er Asseburg auf.

Welche Dimensionen ein Shitstorm wie der gegen Muriel Asseburg annehmen kann, zeigte sich vor wenigen Tagen. Asseburg, die für eine Konferenz nach Tel Aviv gereist war, wurde dort auf offener Straße von Yonatan Shay, einem bekannten Aktivisten der rechten Im-Tirtzu-Bewegung, bedrängt, gefilmt und als "antisemitische Hexe" beschimpft. Das Video veröffentlichte er in den sozialen Medien. Steffen Seibert, der deutsche Botschafter in Tel Aviv, verurteilte diesen Angriff in einem Tweet. "Sie können ihre Ansichten teilen oder nicht. Wenn Sie dies nicht tun, debattieren Sie mit ihr und bringen Sie Gegenargumente vor. Sie auf der Straße mit unverschämten Beleidigungen zu belästigen, ist inakzeptabel und sollte rundum verurteilt werden", schrieb der Diplomat und ehemalige Regierungssprecher unter Kanzlerin Angela Merkel.

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Wie es Asseburg mit dem Shitstorm und den Konsequenzen geht? Ein Hinweis darauf lässt sich bereits im Interview mit Tilo Jung finden. Auf die Frage, ob sie denn mittlerweile ein "dickes Fell" habe antwortet sie: "Nein, das habe ich nicht."

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