Dschenin:Israel greift Ziele im Westjordanland an

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Rauch steigt nach einem Angriff auf die Stadt Dschenin im Westjordanland auf. (Foto: Majdi Mohammed/AP)

Die Stadt Dschenin im Westjordanland gilt als Hochburg militanter Palästinenser. Nun startet Israel dort eine mögliche Großoffensive. Mehrere Menschen werden getötet.

Inmitten zunehmender Konfrontationen im besetzten Westjordanland hat das israelische Militär die palästinensische Stadt Dschenin angegriffen. Bei dem großangelegten Militäreinsatz wurden mindestens sieben Palästinenser getötet. Bisher ist unklar, ob es sich bei den Toten um Kämpfer militanter Islamisten oder unbeteiligte Einwohner Dschenins handelt. Etwa 48 weitere Menschen seien verletzt worden, mehrere davon befinden sich im kritischem Zustand, wie das palästinensische Gesundheitsministerium mitteilte.

Die israelische Armee griff Dschenin nach eigenen Angaben mit mit mehreren gezielten Luftangriffen an. Die Operation "Heim und Garten" richtete sich nach israelischen Angaben gegen "terroristische Infrastruktur". In der Nacht sei ein Waffenlager, ein Versammlungsort für Terroristen und ein auch als Beobachtungsposten genutztes Kommando- und Kommunikationszentrum getroffen worden. Palästinensischen Berichten zufolge gab es in ganz Dschenin Stromausfälle. Auf Videos sind mehrere zerstörte Straßen zu sehen. Auch das "Freedom Theatre" im Stadtzentrum, ein Ort der vor allem jungen Menschen eine Perspektive inmitten der Gewalt bieten soll, wurde getroffen, wie die Kultureinrichtung bestätigte.

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Die Region um Dschenin und das dazugehörende Flüchtlingslager mit etwa 17 000 Einwohnern gelten seit Jahren als Hochburg militanter Palästinenser. In dem Lager westlich des Stadtzentrums leben vor allem Palästinenser, die währen des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948 aus Dörfern und Städten geflohen sind, die heute in Israel liegen. Ihre Kinder und Enkel wurden bereits im Flüchtlingscamp geboren. Ein mögliches Recht auf Rückkehr dieser Flüchtlinge in ihre Häuser und auf ihr Land ist eines der großen ungelösten Probleme des Nahostkonflikts.

Kurz nach dem Luftangriff auf Dschenin rückte Israels Armee mit etwa 100 Militärfahrzeugen und Bodentruppen in die Stadt ein. Palästinensischen Berichten zufolge gab es daraufhin gewaltsame Kämpfe mit Bewohnern.

Ein israelisches Militärfahrzeug steht auf einer Straße in Dschenin, während dahinter Rauch aufsteigt. (Foto: Ayman Nobani/dpa)

Ein Sprecher des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas verurteilte den israelischen Einsatz und sprach von einem "neuen Kriegsverbrechen". Ein israelischer Armeesprecher sagte, die Operation werde "so lange wie nötig" dauern. Demnach konzentriere sich die Armee auf das Flüchtlingslager in Dschenin. Dort seien in der Nacht "mindestens sieben Terroristen neutralisiert" worden. Unklar ist, ob sie getötet wurden.

Neben der im Gazastreifen herrschenden Hamas haben in den vergangenen Jahren auch der militante Islamische Dschihad sowie weitere lose Gruppierungen in Dschenin massiv an Einfluss gewonnen. Finanziert werden sie größtenteils von Iran. Die Hamas rief zur Mobilisierung der Palästinenser im Westjordanland auf und sicherte ihren Kämpfern im Dschenin Unterstützung zu. Ein Sprecher der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad teilte mit: "Solange diese Aggression nicht aufhört, werden die Reaktionsmöglichkeiten breit und umfassend sein".

Rufe nach großangelegter Militäroffensive

Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant teilte mit, die Armee werde in Dschenin weiter "proaktiv und entschlossen vorgehen". Israels Verteidigungsapparat sei auf jedes Szenario vorbereitet. Die Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen Gebieten ist seit Langem angespannt und hatte sich zuletzt nochmals verschärft. Aus der Regierung wurden zuletzt Rufe nach einer großangelegten Militäroffensive laut.

Sei Benjamin Netanjahus neue, teilweise rechtsextreme Regierung im Amt ist, hat sie die Rhetorik gegenüber der palästinensischen Seite verschärft und zeigt wenig Interesse, den Konflikt zu entschärfen - im Gegenteil. Auch den Siedlungsbau im Westjordanland will sie massiv ausweiten. Während Palästinenser immer wieder Anschläge auf Siedlungen oder israelische Soldaten verübten, griffen radikale israelische Siedler zuletzt immer wieder palästinensische Dörfer an und setzt Häuser und Ladengeschäfte in Brand.

Seit Beginn des Jahres wurden mehr als 143 Palästinenser bei Konfrontationen, israelischen Militäreinsätzen oder nach Anschlägen erschossen. Im selben Zeitraum kamen mehr als zwei Dutzend Menschen bei Anschlägen von Palästinensern ums Leben. Israel eroberte das Westjordanland und Ostjerusalem während des Sechstagekrieges 1967. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen eigenen Staat.

© SZ/dpa/infu/saul/vgz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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