Iran:"Das Regime wiegt sich in Sicherheit"

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In den vergangenen Monaten hat man in Iran, wie hier in Teheran, häufig Frauen ohne Kopftuch gesehen. Das könnte bald vorbei sein. (Foto: Majid Asgaripour/Reuters)

Iran hat bekannt gegeben, dass die Sittenpolizei ihre Arbeit wieder aufnimmt. Was das für die Menschen im Land bedeutet - zwei Monate vor dem Jahrestag der Ermordung von Mahsa Amini.

Von Sina-Maria Schweikle, München

Man hatte sie in den vergangenen Monaten immer häufiger gesehen: Frauen, die ohne Kopftuch in Iran auf offener Straße laufen. Doch das könnte schon bald nicht mehr der Fall sein. Denn das iranische Regime kündigte am vergangenen Sonntag an, dass die Sittenpolizei wieder tätig werden soll. Der Sprecher der Polizei, Saeed Montazerolmahdi, teilte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tasnim mit, dass Patrouillen im ganzen Land eingesetzt würden, um "unpassende Kleidung zu bekämpfen".

"Auch wenn das Regime vor dem Westen so tut, als sei die Sittenpolizei vor Monaten abgeschafft worden: Sie war es nie", sagt Ali Fathollah-Nejad, Direktor des Berliner Thinktanks Center for Middle East and Global Order (CMEG). Die Regierung, sagt der Politwissenschaftler, habe in den vergangenen Monaten andere Prioritäten gehabt: "Sie mussten die Proteste im Land niederschlagen, um ihre Position zu sichern." Auch wenn die Massendemonstrationen seither zurückgegangen sind, ignorierten viele Frauen in den vergangenen Monaten weiterhin die islamischen Kleidungsregeln - auch als Zeichen des stillen Protests.

Ein Protest, der sich seit nunmehr zehn Monaten durch das Land zieht. Am 16. September 2022 starb die Kurdin Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die iranische Sittenpolizei, die sie wegen eines Verstoßes gegen die Verschleierungspflicht verhaftet hatte. Ihr Tod löste wochenlange Demonstrationen gegen das Regime aus. Einige Monate nach Beginn der Massenproteste sah man die Sittenpolizei nicht mehr auf den Straßen des Landes. So groß war die Sorge des Regimes, dass die landesweiten Unruhen weiter angeheizt werden könnten.

"Das Regime wiegt sich in Sicherheit, nachdem die Aufmerksamkeit im Westen zurückgegangen ist."

"Die Arbeit der Sittenpolizei hat sich in der Zwischenzeit digitalisiert", sagt Fathollah-Nejad. In den vergangenen Monaten seien viele Kameras an den Straßen installiert worden - auch um Frauen, die gegen die Verschleierungspflicht verstoßen, zu verfolgen. Warum das Mullah-Regime nun öffentlich bekannt gibt, dass die Sittenpolizei Gascht-e Erschad wieder eingeführt wird? "Das Regime wiegt sich bei der Wiedereinsetzung der Sittenpolizei in Sicherheit, nachdem die Aufmerksamkeit im Westen zurückgegangen ist", sagt der Experte.

Was die Frauen erwartet, wenn sie gegen die Kopftuchpflicht verstoßen, lässt sich in einem Gesetzentwurf lesen, über den das Parlament in Kürze abstimmen soll: Zunächst drohen mehrfache Verwarnungen, etwa per SMS, dann Geldbußen, Berufsverbote und in Extremfällen sogar Gefängnisstrafen. Zur Kontrolle soll vor allem Überwachungstechnik zum Einsatz kommen. Auch online veröffentlichte Fotos, auf denen Frauen ohne Kopftuch zu sehen sind, sollen Konsequenzen haben.

Restaurants, Museen oder Einkaufspassagen müssen mit Schließung rechnen, wenn dort gegen die Pflicht zum Verhüllen der Haare verstoßen wird. "All diese Strafen werden bereits durchgesetzt", sagt Fathollah-Nejad. Und all diese Strafen seien ein Versuch, den revolutionären Prozess zu stoppen. "Beide Seiten bereiten sich auf den Jahrestag des Mordes an Mahsa Amini vor."

Unter der Oberfläche brodelt es. "Ich glaube, dass es es nur schwer möglich ist, das Bestreben der Frauen und jungen Menschen in Iran wieder rückgängig zu machen", sagt Fathollah-Nejad.

Auch die Führungsriege des Mullah-Regimes spürt, dass die Situation im Land explosiv ist

Dass sich die Regierung dafür ausspricht, die Kopftuchpflicht zu lockern, hält der Iran-Experte für ausgeschlossen: "Die Hidschab-Pflicht und der Hass gegen Israel und die USA sind wesentliche Grundpfeiler der Islamischen Republik." Die Kluft zwischen der Gesellschaft und dem Regime sei irreversibel. Hinzu komme, dass das Land unter einer schweren Wirtschaftskrise leidet. Auch deshalb habe sich die Situation im Land in den letzten Monaten nur "oberflächlich beruhigt". Die Einführung der Sittenpolizei könne ein Funke sein, der die Situation im Land "wieder zur Explosion führt", sagt Fathollah-Nejad.

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Wie angespannt die Situation im Land ist, scheint auch die Führungsriege des Mullah-Regimes zu spüren. Medienberichten zufolge erklärte Hussein Salami, Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden (IRGC), dass seine Streitkräfte entschlossen gegen diejenigen vorgehen würden, die eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellten. Die Islamische Republik durchlebe ihre "sensibelste Zeit überhaupt".

Entscheidend wird sein, wie konsequent die Sittenpolizei gegen Frauen vorgeht, die gegen die Kleidervorschriften verstoßen. Dann wird sich auch zeigen, ob die Revolutionsbewegung neuen Schwung aufnimmt - oder ob sich wieder einmal das Mullah-Regime durchsetzen wird.

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Am 16. September starb die Kurdin Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die iranische Sittenpolizei. Ihr Tod löste landesweit Demonstrationen gegen die islamische Republik aus. Sie dauern bis heute an. Eine Chronologie von 40 Tagen Wut.

Von Carina Seeburg, Léonardo Kahn und Niklas Keller

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